Widget Image
Über mich

Christa Wüthrich ist freie Journalistin. Als Autorin, Lehrerin und IKRK Delegierte hat sie im In- und Ausland gearbeitet.

Beliebte Beiträge

Akzeptanz den Umwegen!

Akzeptanz den Umwegen!

Die Psychologin Claudia Hofmann ist Co-Leiterin der Fachstelle für berufliche Inklusion (FABI). Die Bernerin forscht und lehrt seit 15 Jahren an der HfH im Bereich der Berufsorientierung und der beruflichen Integration.


Die Fachstelle für berufliche Inklusion (FABI) wurde 2019 gegründet. Was sind die ersten Erkenntnisse nach zwei Jahren?
«Wir befinden uns noch in der Startphase. Das Interesse an der beruflichen Inklusion ist jedoch gross und die Fragen sind sehr vielfältig. Wir werden vor allem von Lehrpersonen, Eltern und Berufsberatern kontaktiert. Auch die Vernetzung mit Fachpersonen in Forschung und Praxis ist wichtig. Bei der Fragestellung ob der beabsichtigte Bildungsweg für einen bestimmten Jugendlichen passt, können wir mit unserer Einschätzung den Betroffenen eine Zweitmeinung bieten.»


Wie gestaltet sich der Übergang ins Berufsleben oder eine weiterführende Schule für Jugendliche mit einer Leistungseinschränkung?
«Es ist schwierig, repräsentative Zahlen zu erheben, wie sich der Übertritt in die Berufswelt für Jugendliche mit einem Handicap gestaltet. Oft stellt der direkte Übergang von der Schule in die Berufsausbildung schulisch eine grosse Hürde dar. Die involvierten Parteien – seien es Schulen, Berufsberater, Eltern, aber auch die Anbieter von Brückenangeboten und die Invaliden-Versicherung – sind sich dessen bewusst.

«Gegenseitige Transparenz und Offenheit sind wichtig. Das Handicap lässt sich nicht verheimlichen. Wichtig ist, wie man damit umgeht.» 

Sie suchen das Gespräch mit den Lernenden, beraten sie und erarbeiten gemeinsam mit ihnen alternative Zwischenlösungen: ein Praktikum, eine Praktische Ausbildung (PrA) oder der Start einer Ausbildung im zweiten Arbeitsmarkt mit einem späteren möglichen Wechsel in den 1. Arbeitsmarkt.»


Welchen Stellenwert hat in dieser Übergangsphase ein begleitendes Coaching?
«Ich sehe das «Coaching-Modell» als grosse Chance, den Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt und die Berufswelt zu erleichtern. Es ist eine sehr individuelle Lösung, welche die Möglichkeit bietet, dass nicht nur die betroffenen Lernenden betreut werden, sondern auch die Lehrbetriebe. Gegenseitige Transparenz und Offenheit sind dabei wichtig. Das Handicap lässt sich nicht verheimlichen. Wichtig ist, wie man damit umgeht.» 


Eine «Sonderschul-Vergangenheit» kann als Stigma erlebt werden. Gibt es eine schulische «Zwei-Klassengesellschaft»?
«Eine Zwei-Klassengesellschaft sehe ich keine. Die Lehr- und Lernlandschaft ist in der Schweiz enorm bunt und durchlässig. Die Diversität ist zu gross, um in Klassenmustern oder Beeinträchtigungsmodellen zu denken. Unsere Laufbahnstudien haben dies eindrücklich aufgezeigt. Die rund 600 befragten jungen Erwachsenen wiesen für die ersten neun Schuljahre, über 30 verschiedene Laufbahnmuster auf. Und das gleiche gilt auch für den Prozess der Berufswahl. Jugendliche – mit oder ohne Leistungsminderung – sollen nicht auf ein bestimmtes Gleis abgeschoben werden. Sie entwickeln sich konstant weiter, entdecken neue Ressourcen und dadurch ergeben sich neue Möglichkeiten. Ich wünsche mir, dass die Akzeptanz für Umwege grösser wird. Den einzigen «richtigen» Weg gibt es nicht.»

publiziert Februar 2022, Zeitschrift “Bildung Schweiz”

Comments

Leave a comment

Your email address will not be published. Required fields are marked *

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.