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Über mich

Christa Wüthrich ist freie Journalistin. Als Autorin, Lehrerin und IKRK Delegierte hat sie im In- und Ausland gearbeitet.

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Jetzt kommen die Drohnen-Mamas!

Jetzt kommen die Drohnen-Mamas!

Ob Spielplatz oder Schulweg, Kindergeburtstag oder Karatetraining: Helikopter Mütter umkreisen ihre Kinder wie Hubschrauber, um ihnen jegliche Unannehmlichkeiten aus dem Weg zu räumen. Egal in welcher Flughöhe sie über ihrem Sprössling kreisen, auf dem Radar bleibt ein grosses schwarzes Loch! Die Schule. Hier sind Hubschrauber selten gern gesehen. Die Schule liegt helikoptertechnisch im Finstern – doch nun scheint Licht ins Dunkel zu kommen.

Die Smart-Card ist ein Schüler-Ausweis mit Foto, der registriert, wann der Schüler die Schule oder das Klassenzimmer betritt. Die Karte vermerkt wann und was das Schulkind zu Mittag gegessen hat und wie viel es dafür ausgegeben hat.

Helikopter-Mamas haben die Chance sich zur Drohnen-Mutter upgraden zu lassen. Ein Klassenwechsel, der eine mütterliche „Rund-um-die-Uhr-Überwachung“ möglich macht. Was es dazu braucht? Das nötige Kleingeld (mehrere Zehntausend Franken pro Jahr) um sein Kind an eine der Privatschulen zu schicken, welche über ein «Smart-Card-System» verfügen. Die Smart-Card ist ein Schüler-Ausweis mit Foto, der registriert, wann der Schüler die Schule oder das Klassenzimmer betritt. Die Karte vermerkt wann und was das Schulkind zu Mittag gegessen hat und wie viel es dafür ausgegeben hat. Der Ausweis ermöglicht den Zugang zur Schulbibliothek und dient zur Kontrolle, wo sich das Kind auf dem Schulgelände befindet – schon im Schulbus oder noch in der Turnhalle? Die Drohnen-Mamas bekommen nachdem ihr Kind in der Cafeteria Pommes frites gegessen hat, eine SMS mit dessen Menüwahl zugeschickt. Das Kind kann nur von Personen abgeholt werden, die auch über eine Smart-Card verfügen. Ist Mutter gerade vor Ort hat sie mit ihrer eigenen Karte Zutritt zum Schulareal und kann in der Bibliothek Bücher ausleihen. Die Angst, dass der Tochter die Brieftasche gestohlen wird (oder sie eine Brieftasche stiehlt) ist weggeblasen. Auf die Karte wird Geld geladen und damit das kindliche Haushaltsbudget klar kontrolliert und im Notfall limitiert. Durch die Karte wird die Mama zur Drohne; omnipräsent und überinformiert. Jeder Sicherheitsexperte kann von einer so flächendeckenden Überwachung nur träumen. Was fehlt, ist nur noch die Absicherung des Luftraums.

Die Gems World Academy, eine der grössten Privatschulgruppen der Welt, die rund um den Globus rund 110’000 Kinder unterrichtet, nutzt das moderne Schüler-Identifikations-System. Je nach Land und Schule variiert der Service. Im Herbst 2013 Herbst wurde in der Romandie die erste Schweizer Niederlassung eröffnet. Ich bin während einer Recherche zu Privatschulen über das Smart-Card-System gestolpert. Beziehungsweise hat es mich fast zu Fall gebracht. Ich muss gestehen: Ich bin eine Stützrädli-Mama: zur Stelle, wenn es nötig ist; bemüht eine gewisse Balance zu schaffen und die schlimmsten Stürze zu verhindern. Manchmal ist eine Schraube locker. Manchmal sind mein Sohn und ich unglaublich gut unterwegs und manchmal landen wir gemeinsam im Strassengraben. Meine Mission: Es wird auch ohne mich gehen. Denn was wünsche ich meinem Kind? Wind im Haar, das Männchen machen und bei Bedarf Kurven schneiden – und das geht mit Stützrädli nie.

Ich muss nicht über jeden Hasenfurz meines Kindes informiert sein. Klar haben Drohnenmütter hier eine andere Perspektive und Hasenfürze sehen aus der Höhe vielleicht bedrohlicher aus als im Stützrädli-Winkel.

Es ist klar, dass ich nie die gleiche Flughöhe wie eine Drohnen-Mutter erreiche – und vielleicht ist darum für mich eine Smart-Karte ein Unding. Nicht, dass es mich nicht interessiert, ob mein Sohn sein Essensgeld für Panini Bildchen statt Brokkoli-Gratin ausgibt und ob er in der Bibliothek anstelle des Chemiebuches ein Comicheft liest. Wenn er es jedoch tut – muss ich das wissen? Trägt mein Sohn bleibend Schäden davon? Wird er dadurch für Schule und Gesellschaft untragbar? Ein klares Trippel-Nein. Ich muss nicht über jeden Hasenfurz meines Kindes informiert sein. Klar haben Drohnenmütter hier eine andere Perspektive und Hasenfürze sehen aus der Höhe vielleicht bedrohlicher aus als im Stützrädli-Winkel. Dennoch bin ich überzeugt. Zur Schule gehen hat einen bestimmten Reiz, weil es eine mutterfreie Zone ist. Sorry Heli-Mamas und Smart-Card-Schulen: Drohnen haben hier nichts zu suchen!

publiziert 7. april 2014, tagesanzeiger

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