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Über mich

Christa Wüthrich ist freie Journalistin. Als Autorin, Lehrerin und IKRK Delegierte hat sie im In- und Ausland gearbeitet.

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Ausgezikt?

Ausgezikt?

Als Vorbild im Kampf gegen Zika gilt Singapur. Was unterscheidet die Südasiatische Metropole von der Mehrheit der restlichen 60 betroffenen Länder?

Genau drei Monate nach dem ersten bestätigten lokal-übertragenen Zika-Fall in Singapur stehe ich im lokalen Mother & Child Centre. Das Zentrum in nächster Nähe zu zwei führenden Privatkliniken ist ein wichtiger Treffpunkt für Schwangere und Mütter. Hier werden Hebammen, Gynäkologen, Babymassage-Kurse oder Stillberatungen vermittelt.

Nachdem Singapur ende August den ersten lokalen Zika-Fall meldete, stieg die Zahl der Ansteckungen innerhalb einer Woche auf beunruhigende 242 Fälle an. Die USA, Australien und Taiwan rieten von Reisen nach Singapur ab. Malaysia führte eine Art Gesundheitscheck bei der Einreise aus Singapur ein. Der kleine Staat rückte auf der globalen Zika-Weltkarte in beängstigendem Tempo Richtung Brasilien. Im Land selbst berichteten die Zeitungen andauernd über neue Fälle und das Gesundheitsministerium informierte laufend über die aktuellsten Entwicklungen. Anti-Moskito-Produkte waren ausverkauft. Einige Schwangere verliessen aus Angst vor einer Ansteckung das Land.

 242 neue Fälle innerhalb einer Woche: War Singapur nur 13 Jahre nach SARS wieder auf dem Weg zum temporären Kollaps durch einen heimtückischen Virus?

Die Situation erinnerte an den Ausbruch von SARS im Jahre 2003. Damals wurden tausende von Menschen unter Quarantäne gestellt und die Schulen geschlossen. An der Lungenkrankheit starben allein in Singapur 31 Menschen und 206 Leute wurden infiziert. Die Tourismusbranche kollabierte. Die Besucherzahlen sanken um 75 Prozent. Der Staat korrigierte die Wachstumsprognose nach unten. War Singapur nur 13 Jahre nach SARS wieder auf dem Weg zum temporären Kollaps durch einen heimtückischen Virus?

Über spezifische Informationen betreffend Zika verfügt das Mutter & Kind-Zentrum nicht. «Die Zika-Panik ist ausgeblieben», erklärt Hebamme Rebecca Wood. «Die Regierung hat von Anfang an strikte Anweisungen gegeben, wie sich Schwangere verhalten sollen. Die Message war klar: Wer die betroffenen Stadtteile meidet und sich mit Anti-Moskito-Produkten und langer Kleidung schützt, hat wenig zu fürchten». Der Zika-Virus wird in den meisten Fällen durch den Biss einer infizierten Mücke der Gattung Aedes übertragen. Diese Mücke verbreiten auch das Dengue-, Chikungunya- und Gelbfiebervirus. Das Virus kann von einer schwangeren Frau auf ihr ungeborenes Kind übertragen werden und beim Baby zu einem ungewöhnlich kleinen Kopf führen. Die Experten sprechen von Mikrozephalie. Geistige Behinderung und andere schwere neurologische Störungen können die Folge sein.

 

Infographics virus Zika - information about symptoms, treatment, consequences and prevention of illness

Im Angesicht der drohenden Katastrophe wählte Singapur den Weg der totalen Transparenz und schaltete auf Generalmobilisation. Die Bevölkerung wurde über Medien, Informationsplakate und direkt auf der Strasse informiert. Freiwillige verteilten Informations-Broschüren und Insekten-Spray. Sie besuchten in den vom Zika-Virus am meisten betroffenen Stadtteilen schwangere Frauen und klärten sie über die aktuelle Situation auf.

Die Mehrheit der Zika-Opfer in Singapur waren ausländische Bauarbeiter. Grossbaustellen sind potenzielle Mücken-Hotspots. Denn stehendes Wasser – zum Beispiel in Baugruben – sind ideale Brutplätze für Mücken.

«Ich war zum Zeitpunkt des Zika-Ausbruchs sichtbar schwanger. Fremde Menschen auf der Strasse wiesen mich darauf hin lange Kleider und Moskitoschutz zu tragen», erinnert sich Martha, eine junge Mutter im Mother & Child Centre mit ihrem gesunden Baby auf dem Arm. «In Gefahr » hat sich auch sie nie gefühlt. «Betroffene Gebiet mied ich und schränkte meinen Bewegungsradius entsprechend ein». Dass eine Aedes-Mücke in einen anderen Stadtteil fliegt und dort für Unruhe sorgt, ist ausgeschlossen. Die Aedes-Mücken sind schlechte Flieger und schaffen kaum eine Distanz von 400 Metern. (Eine grössere Distanz zu überwinden, ist ihnen nur möglich wenn sie in einem Fahrzeug oder auf Pflanzen transportiert werden.)

Jeder einzelne Fall, bzw. jedes Zika-Cluster – damit wird der Ort (Hausblock, Strasse, Baustelle) bezeichnet in dem die Ansteckungen auftraten – wurden in Singapur bis ins Detail dokumentiert. Die einzelnen Zika-Cluster wurden sofort abgeriegelt und mit Insektiziden so intensiv und konstant behandelt, dass kein einziges Insekt überlebte. Die Mehrheit der Zika-Opfer in Singapur waren ausländische Bauarbeiter. Grossbaustellen sind potenzielle Mücken-Hotspots. Denn stehendes Wasser – zum Beispiel in Baugruben – sind ideale Brutplätze für Mücken. Die betroffenen Baustellen wurden mit einem Baustopp belegt.

Zusätzlich brachten im September einheimische Wissenschaftler eine Testbox auf den Markt mit der innerhalb von nur zwei Stunden eine mögliche Ansteckung von Dengue, dem Chikungunya-Virus und Zika nachgewiesen werden kann. Die Wissenschaftler forschten schon über sechs Monate am Produkt. Ausschlaggebend für die Initiierung der Forschungsarbeit war der Zika-Ausbruch in Brasilien. Gleichzeitig schafften es Forscher das Genom des lokalen Zika-Virus zu entschlüsseln. Sie entdeckten, dass der Virus nicht vom Südamerikanischen Zika-Virus abstammt, sondern zum asiatischen Zika-Stamm- gehört. Dieser kommt schon seit Jahrzehnte in Südostasien – zum Beispiel in Thailand und den Philippinen – vor. « Das sind gute Neuigkeiten», erklärte einer der involvierten Wissenschaftler in den nationalen Medien. «Denn die Chance, dass die Menschen in der Region eine Immunität gegen den Virus aufgebaut haben ist damit grösser und das Risiko, dass der lokale Zika-Virus Fehlbildungen bei Neugeborenen verursacht kleiner». Insgesamt wurden bis Anfang November 17 schwangere Frauen in Singapur mit dem Virus angesteckt. Zwei Babys von Zika-infizierten Müttern wurden schon geboren. Beide sind gesund.

Die Totaloffensive – wissenschaftlich, medizinisch, sozial und kommunikativ – scheint sich für Singapur gelohnt zu haben. Seit Anfang November hat sich die Zahl der neuen Zika-Ansteckungen bei etwa zwei Fällen pro Woche eingependelt. Gleichzeitig ist ein Rückgang der Dengue-Fälle erkennbar.

Grosse Beachtung im Kampf gegen die Aedes-Mücke erhielt ein Projekt der National Environment Agency (NEA). Dabei wurden tausende männliche Aedes Moskitos in Wohngebieten ausgesetzt. Die Moskitos sind alle Träger des Wolbachia Bakteriums. Wenn sich nun diese männlichen Moskitos mit einer weiblichen Aedes-Mücke paaren, verhindert das natürliche Bakterium, dass die Mückeneier schlüpfen. Über einen längeren Zeitraum sollte das Bakterium dazu führen, dass die Aedes-Population verringert wird. Da genau diese Mücke Zika, Dengue und Chikungunya überträgt, sinkt damit automatisch das Risiko einer Ausbreitung dieser Viren.

Die Totaloffensive – wissenschaftlich, medizinisch, sozial und kommunikativ – scheint sich für Singapur gelohnt zu haben. Seit Anfang November hat sich die Zahl der neuen Zika-Ansteckungen bei etwa zwei Fällen pro Woche eingependelt. Gleichzeitig ist ein Rückgang der Dengue-Fälle erkennbar. Die Krankheit wird wie der Zika-Virus von der Tigermücke übertragen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gratulierte dem Stadtstaat zu seiner Leistung und bezeichnet Singapur als Rollenmodell und Vorbild für andere Staaten. Gleichzeitig hob die WHO den durch Zika versursachten « globalen Gesundheitsnotstand » auf. Die Zika-Epidemie wird damit offiziell nicht mehr als «Notstand von weltweitem Ausmaß» betrachtet. Die Gefahr bleibt jedoch bestehen. Auszeit ist noch lange nicht.

zika virus

Die Zika-Epidemie gilt nicht mehr als «Notstand von weltweitem Ausmaß». Die Gefahr bleibt jedoch bestehen.

«Wir beschäftigen uns schon seit zwei Jahren intensiv mit Zika», erklärte Gesundheitsminister Gan Kim Yong während einer Sitzung des Parlaments im September.

Singapur als kleiner Stadtstaat verfügt über viele Vorteile, um ein Virus wie Zika erfolgreich zu bekämpfen: Finanzielle und wissenschaftliche Ressourcen, medizinische Infrastruktur, politische und wirtschaftliche Stabilität, Erfahrung im Umgang mit Epidemien (SARS Ausbruch 2003) und ein kleines übersichtliches Staatsgebiet von rund 700 km2. (Die Fläche entspricht etwa dem Kanton Glarus). Gleichzeitig war sich der Staat auch seines Handicaps bewusst. Mit einer Population von 5,69 Millionen gehört Singapur zu einem der dichtest bevölkerten Länder der Welt. Schnelles, fokussiertes Handeln war überlebenswichtig; die Vorbereitung dazu ein Schlüsselelement.

«Wir beschäftigen uns schon seit zwei Jahren intensiv mit Zika», erklärte Gesundheitsminister Gan Kim Yong während einer Sitzung des Parlaments im September. Während der Virus sich in anderen Ländern ausbreitete, begannen an die 200 Kliniken in Singapur Blutproben von Patienten zu sammeln, die Zika-ähnliche Symptome zeigten. Im Falle einer positiven Probe alarmierten die Ärzte direkt das Gesundheitsministerium, welches rigoros handelte: Inspektion von mehr als 31’000 Grundstücke und Gebäude innerhalb von 14 Tagen, um möglichen Moskito-Brutstätten zu eliminieren; Gratis Zika-Test für Schwangere mit Zika-Symptomen und im Falle einer Infektion engmaschige Betreuung.

Mit einer total anderen Ausgangslage als Singapur sind andere Staaten – wie zum Beispiel Myanmar – konfrontiert. Die ersten Zika-Fälle sind dokumentiert. Doch das Land mit seinen 51,5 Millionen Einwohner schafft es kaum die Bevölkerung zu informieren oder Präventionsmassnahmen einzuleiten. Laut der WHO gibt es nur 0.6 Ärzte auf 1,000 Menschen. Die öffentlichen Krankenhäuser sind überfüllt. Patienten melden, dass sie nur gegen Bezahlungen Bettwäsche bekommen oder gar die Toilette benützen dürfen. Laut der nationalen Tageszeitung Myanmar Times waschen nicht einmal ein Drittel des Pflegepersonals nach der Behandlung eines Patienten die Hände. Es fehlt an Wissen, Fachleuten, Infrastruktur und Geld. Eine denkbar schlechte Ausganslage für eine mögliche Zika-Epidemie.

publiziert 21. Dezember 2016, Tagesanzeiger

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