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Über mich

Christa Wüthrich ist freie Journalistin. Als Autorin, Lehrerin und IKRK Delegierte hat sie im In- und Ausland gearbeitet.

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Es werde Licht – aber richtig!

Es werde Licht – aber richtig!

Licht spielt bei der Schaffung von idealen Lernumgebungen eine entscheidende Rolle. Warum diese Erkenntnis Behörden, Lehrpersonen und Eltern interessieren sollte. 

In der Schule Wil in Dübendorf (ZH) werden an die 210 Kindergarten- und Schulkinder von rund 30 Lehrpersonen unterrichtet. Seit Sommer 2018 findet der Unterricht im totalsanierten Schulhaus statt. Die interaktiven Wandtafeln in den Unterrichtsräumen und die Solarpanels auf dem Schulhausdach sorgen für Begeisterung. Keine Beachtung erhält in den hellen Räumen mit den grossen Fenstern die Beleuchtung. Warum auch? Licht ist Licht, als gut befunden, solange es leuchtet. Und genau hier beginnt diese Geschichte: Die Schule Wil ist eine der wenigen öffentlichen Schulen in der Schweiz, die auf Human Centric Lighting (HCL) setzen. Rund 30 Prozent teurer ist HCL als die herkömmlichen Konzepte und bleibt von den Betrachterinnen und Betrachtern in den meisten Fällen unbemerkt. Trotzdem wird es immer häufiger eingesetzt – sei es in Kliniken, Bürogebäuden, Universitäten oder Schulen. Alles nur «Licht, Schall und Rauch» oder der Start einer Beleuchtungsrevolution im Schulzimmer? 

Natürliches Tageslicht kopieren 
«Human Centric Lighting» – kurz HCL – bedeutet übersetzt so viel wie eine biologisch wirksame, künstliche Beleuchtung zur Steigerung des Wohlbefindens. Im Fall der Primarschule Wil schliesst HCL ein programmiertes Lichtsystem ein, das die Lichtintensität und -farbe in den Innenräumen je nach Tageszeit und Lichteinfall ändert (vgl. Kasten).

«Es ist ein Fakt, dass gutes Licht das Lesen, das Schreiben und damit auch das Lernen angenehmer macht.”

Beim Schulstart am Morgen wird im gesamtem Schulhaus – inklusive der Unterrichtsräume, Lehrerzimmer, Garderoben, Flure und Toiletten – eine helle, warme Beleuchtung benutzt. Das Licht soll die Morgenmüdigkeit vertreiben und die Kinder aktivieren. Bis zur Mittagszeit steigt der Blauanteil im Licht an. Die aktivierende Wirkung soll damit verstärkt und die Antriebslosigkeit verringert werden. Auch nach der Mittagspause weist das Licht immer noch einen hohen Tageslichtanteil auf und soll der Mittagsmüdigkeit entgegenwirken. Ein Tageslichtweiss und eine höhere Beleuchtungsstärke mindern dieses Tief und fördern die Konzentrationsfähigkeit. Während des weiteren Verlaufs des Tages wechselt die Lichtfarbe wieder zu einer wärmeren Farbtemperatur. Die Beleuchtungsstärke nimmt ab, das Licht wird wieder sanfter und wärmer. Erholung und Entspannung sollen gefördert werden. Scheint die Sonne hell ins Klassenzimmer oder verdunkeln düstere Wolken den Raum, reagiert das Lichtsystem automatisch und passt die Beleuchtungsstärke an. HCL soll damit in den Innenräumen das natürliche Tageslicht und den Tageslichtverlauf kopieren und damit das Wohlbefinden und schliesslich die Leistungsfähigkeit unterstützen. Die entsprechende Farbtemperatur des Leuchtmittels wird mithilfe einer Software dynamisch gesteuert und ist fix programmiert. Die einzelnen Lehrpersonen können in ihren Klassenzimmern das Licht dimmen, jedoch nicht den Farbton anpassen.

LICHT: WARM, KALT ODER NEUTRAL? 

Die Farbtemperatur, auch Lichtfarbe genannt, wird in Kelvin gemessen. Sie gibt an, wie wir eine Lichtquelle farblich empfinden. Die Lichtfarbe wird in drei Kategorien unterteilt: Warmes Licht (bis zu 3000 Kelvin), neutrales (um die 4000 Kelvin) und kaltes Licht (ab 5000 Kelvin). Warmes Licht – zum Beispiel Kerzenlicht – hat eine niedrige Farbtemperatur, wirkt gelblich-rot und damit beruhigend und entspannend. Neutrales Licht entspricht dem tageslichtweissen Licht. Je höher der Blauanteil in weissem Licht, desto kälter wirkt es. Kaltes Licht gilt als anregend. 

Gutes Licht für gutes Lernen 
Ob sich die Schulkinder im Schulhaus Wil in den neuen Unterrichtsräumen mit HCL wirklich besser konzentrieren können, ist nicht bewiesen. «Wir fühlen uns alle sehr wohl in den neuen Räumen. Dass sich die Beleuchtung je nach Tageszeit automatisch anpasst, fällt weder mir noch der Klasse auf», betont Primarlehrer Daniel Rutz. Der Pädagoge unterrichtet im Schulhaus Wil und hat die Lehrerschaft während der Sanierung des Schulhauses in der Baukommission vertreten. «Es ist ein Fakt, dass gutes Licht das Lesen, das Schreiben und damit auch das Lernen angenehmer macht. Im Zentrum der Schulhaussanierung stand jedoch das Schaffen einer ganzheitlichen, stimulierenden Lernumgebung durch die Architektur, die Raumgestaltung, die Farben und das Licht», ergänzt Rutz. Das alte Schulhaus mit seinen kleinen, eng bestuhlten, dunklen Zimmern und den flackernden Neonröhren habe sicher keine ideale Beleuchtung mehr geboten.

Für Dübendorf, das seit 2002 als Energiestadt zertifiziert ist, kam nur eine energieeffiziente Sanierung in Frage. Mehrkosten wurden dafür budgetiert. Bewegungsmelder im gesamten Schulhaus sorgen zum Beispiel dafür, dass das Licht nicht unabsichtlich nächtelang oder über die gesamten Sommerferien brennt. Und den Strom für den gesamten Energiebedarf des Schulhauses liefern die eigenen Solarpanels. 

Ein anregendes blaues Licht im Schlafzimmer ist genauso unangebracht und schädlich wie ein rötliches warmes Licht mit einschläfernder Wirkung im Kontrolltower des Flughafens.

Für Dübendorf, das seit 2002 als Energiestadt zertifiziert ist, kam nur eine energieeffiziente Sanierung in Frage. Mehrkosten wurden dafür budgetiert. Bewegungsmelder im gesamten Schulhaus sorgen zum Beispiel dafür, dass das Licht nicht unabsichtlich nächtelang oder über die gesamten Sommerferien brennt. Und den Strom für den gesamten Energiebedarf des Schulhauses liefern die eigenen Solarpanels. 

Eigenen Rhythmus unterstützen 
«Wir brauchen mehr und besseres Licht als früher», sagt René Holweck von der Lichtfirma Trilux. «Nicht nur, weil wir heute öfter und länger in geschlossenen Räumen und vor Bildschirmen sitzen, sondern auch, weil wir oft durch fehlendes Tageslicht keinen klaren Tag-Nacht-Rhythmus mehr haben.» Als Beispiel dient der hohe Blaulichtanteil, den Bildschirme ausstrahlen. Blaues Licht unterdrückt die Bildung von Melatonin, dem sogenannten Schlafhormon. Eine gute Sache, wenn jemand intensiv vor dem Computer arbeitet und nicht einnicken sollte. Eine höchst störende Angelegenheit, wenn nachts im Kinderzimmer ein Bildschirm flimmert. Ein anregendes blaues Licht im Schlafzimmer ist genauso unangebracht und schädlich wie ein rötliches warmes Licht mit einschläfernder Wirkung im Kontrolltower des Flughafens. 

«HCL macht eine massgeschneiderte Beleuchtung möglich», erklärt Holweck, der Schulen und Unternehmen zu HCL berät. Ob Patienten in einer psychiatrischen Klinik, Schichtarbeiterinnen in einer geschlossenen Fabrikhalle oder Primarschüler in einer öffentlichen Schule: Sie alle haben ihren eigenen Rhythmus, ihre Pflichten und Bedürfnisse. Das Licht kann dabei unterstützend wirken. Es lässt sich kaum oder nur sehr schwer beweisen, dass sich der Wohlfühlfaktor der Mitarbeitenden in der Fabrikhalle, der Bewohnerinnen und Bewohner eines Altersheims oder der Kindergartenkinder im Unterrichtsraum nur wegen HCL erhöht. Doch was ist wissenschaftlich wirklich belegt? 

Die Wissenschaft tendiert dazu, dem Licht eine Qualität zuzuschreiben. Allerdings kommt sie eher verhalten vorwärts. Die Norm dazu dümpelt seit Jahren mangels übereinstimmender Resultate vorsichhin.»

Bewiesen ist, dass die visuelle Informationsaufnahme erfolgreich funktioniert, wenn Licht vorhanden ist. Wie und was wir sehen, hat unmittelbar eine Wirkung auf unser Wohlbefinden und unser Verhalten. Fakt ist auch, dass Licht die Produktion des Schlafhormons Melatonin und seines hormonellen Gegenspielers Cortisol beeinflusst. Cortisol brauchen wir im Gegensatz zu Melatonin, um wach und konzentriert zu bleiben. Ein gezielter Einsatz von Licht kann die Ausschüttung der beiden Hormone anregen. Eine wissenschaftliche, einheitliche Definition oder ein Bewertungsverfahren zu HCL – vom genauen Lichtspektrum über Lichtintensität und Zeitpunkt bis hin zur Dauer – gibt es nicht. 

Selber Raum – anderes Licht: Morgens und abends kommt im Schulhaus Wil in Dübendorf (ZH) warmes Licht zum Einsatz…
… während um die Mittagszeit kühlere Lichtfarben dabei helfen, konzentriert zu arbeiten. Fotos: Trilux

HCL – kein Thema für den Dachverband
Dass Lichtfarbe und -intensität einen klaren Einfluss auf unsere Lernleistung haben, belegen verschiedene Studien eindrücklich. Die Resultate zeigen zum Beispiel, dass die Fehlerquote sinkt und die Konzentration steigt. Durchgeführt wurden diese Erhebungen von den Lichtherstellern selbst. Wie objektiv sind diese Resultate? Daniel Tschudy, Geschäftsführer der Schweizer Licht Gesellschaft (SLG) und erfahrener Lichtplaner, erklärt im Interview, wie diese Resultate einzuordnen sind und wie er persönlich ein Schulzimmer beleuchten würde.

Für den Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH) ist HCL kein prioritäres Thema. Klar sei, dass gutes Licht in Schulräumen sich auch auf die Gesundheit der Lehrpersonen und der Lernenden auswirkt, so wie gesunde Raumluft, teilt Ruth Fritschi, Mitglied der Geschäftsleitung LCH, auf Anfrage mit. «In den meisten Fällen haben Lehrpersonen jedoch wenig Einfluss auf die Ausstattung der Schulräume», erklärt Fritschi. HCL sei darum aktuell kein Thema. 

Warum HCL Sinn ergibt

Daniel Tschudy verfügt über 30-jährige Erfahrung als Lichtplaner im In- und Ausland. Seit 2019 ist er Geschäftsführer der Schweizer Licht Gesellschaft (SLG). Die SLG ist die nationale Branchenvereinigung der Schweiz im Bereich Licht und sieht sich als Kompetenz für Licht und Beleuchtung. Im Interview spricht er über den Einsatz von Human Centric Lighting (HCL). 

Gewisse Lichthersteller wie Bartenbach, Osram oder Glamox haben in Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Partnern eigene Feldstudien durchgeführt. Die Resultate sprechen – wenig überraschend – für HCL. Wie sind solche Studienresultate einzuordnen? 
«Die Frage ist absolut berechtigt, zumal diese eigenen Feldstudien eine gute Marketingplattform bieten. Die Wissenschaft tendiert dazu, dem Licht eine Qualität zuzuschreiben. Allerdings kommt sie eher verhalten vorwärts. Die Norm dazu dümpelt seit Jahren mangels übereinstimmender Resultate vorsichhin.»

Ist HCL also nur eine PR-Phrase? 
«Eine PR-Phrase ist HCL nicht. Bereits in den 50er-Jahren wurde über biologisch- dynamisches Licht in Innenräumen gesprochen. Fakt ist, dass wir Menschen eine innere Uhr besitzen, die gestellt werden muss. Wir sind psychisch abhängig davon, wieviel von welchem Licht auf unsere Netzhaut trifft. Das sind Tatsachen, die eindeutig dafür sprechen, dass HCL wirklich auch Sinn macht und positive Effekte haben kann.»

Was halten Sie persönlich als Lichtexperte von HCL?
«Ich würde die HCL-Philosophie nicht nur im Lehr- und Lernkontext sehen wollen, sondern generell. Der Mensch hat sich über Jahrmillionen im Umfeld der Natur, also im zyklischen Wechsel von Nacht und Tag, entwickelt. Damit haben sich auch die inneren Zeitgeber diesem System angepasst und sind heute noch hauptverantwortlich für das Stellen der inneren Uhr. Insofern ist es naheliegend, dass spektrale Zusammensetzung und Lichtintensität eine Rolle spielen für gesundheitliche Aspekte wie Herzschlag, Müdigkeit oder das vegetative Nervensystem. Gleichzeitig tragen sie zu mehr Vitalität, Konzentrationsfähigkeit, Wohlbefinden und Agilität bei.»

Wenn Sie eine eigene Schule betreiben würden, mit welchem System würden Sie die Räume beleuchten?
«Ich würde eine Schule so bauen wollen, dass einerseits die Hauptbeleuchtung über eine möglichst lange Zeit mit Tageslicht möglich wäre, das Kunstlicht aber HCL-fähig zur Unterstützung im Winterhalbjahr dienen kann. Somit soll das Tageslicht blendfrei, wenn möglich auch zenital über Oberlichter, Sheddächer etc. in den Klassenraum eingespielt werden. Zudem wäre es wichtig, dass die Kinder genug schlafen, die Nacht ungestört durch Licht- und Lärmemissionen erleben und nicht bereits um 7.45 Uhr oder noch früher in der Schule sein müssen.»

Warum? 
«Kinder sind häufig stark auf die Nacht gepolt und brauchen zusätzlich in der Entwicklung viel Schlaf, acht bis zehn Stunden. Wenn das Tageslicht die Wachheit positiv beeinflussen soll, sollten Kinder nicht vor 9 Uhr in der Schule sein. Das Bild, das die Schule in den frühen Morgenstunden zeigt, sind immer wieder übermüdete Kinder. Es macht vielfach auch keinen Sinn, einem Kind beizubringen, früher ins Bett zu gehen. Das funktioniert bei vielen Kindern ebenso wenig. Natürlich stimmt das nur bedingt für alle, es gibt immer wieder auch Ausnahmen.»

Was spielt HCL in Zukunft denn für eine Rolle? 
«Meine Hoffnung ist, dass HCL in Zukunft als selbstverständliche und naturnahe Unterstützung zum Tageslicht gesehen wird. Das Energiespar-Argument macht da wenig Sinn, weil die Kosten der Gesundheit weit höher wiegen. So sehe ich HCL als notwendige Massnahme, um eine gute Tageslichtarchitektur im spärlichen Winterhalbjahr sinnvoll zu unterstützen.»

publiziert September 2020, “Bildung Schweiz” (09/2020)

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