Widget Image
Über mich

Christa Wüthrich ist freie Journalistin. Als Autorin, Lehrerin und IKRK Delegierte hat sie im In- und Ausland gearbeitet.

Beliebte Beiträge

«Wir sind Schnee»

«Wir sind Schnee»

Nicht viele Gewerbebauten versuchen mit dem Äusseren zu kommunizieren, was im Inneren vorgeht. Ein Gebäude, das genau dies schafft, steht im italienischen Bozen. Von außen ähnelt der Bau einem Monolith aus Eis und Schnee. Im Inneren werden Schneekanonen hergestellt.

Gross, weiss und schimmernd. Auf den ersten Blick wirkt der Bau wie ein abgebrochenes Stück Gletscher, das überraschend am Rande der Gewerbezone «Einstein Süd» in Bozen liegen blieb, zwischen einem Nadelwald und einer grossen Wiese. Doch beim Näherkommen enttarnt das Skelett des Stahlbetonbaus mit seiner prominent schwarzen Zeichnung das vermeintliche ewige Eis als Industriebau – genauer als Produktions-und Lagerhallen-Ensemble von Technoalpin, dem weltweit grössten Hersteller von Beschneiungsanlagen. Hier werden Schneekanonen und Zubehör entwickelt, produziert, gelagert und vertrieben. Der 2010 fertiggestellte Neubau war für Technoalpin eine betriebliche Notwendigkeit, die mit einer klaren Absicht verknüpft wurde: Das Gebäude soll in Form und Aussage das Unternehmen und dessen Arbeit nach aussen abbilden.

Schneegefühl dank Profilbauglas
Für den Balanceakt zwischen Zweckmässigkeit, günstigem Bauen und dem Anspruch der Firma sich über das Gebäude zu präsentieren, wurden die Architekten Johannes Niederstätter /Architects WN und Roland Baldi beauftragt. «Der Bauherr hat uns lediglich das Raumprogramm vorgegeben und eine schnelle und effiziente Realisierung des Projektes gefordert», erklärt Architekt Roland Baldi. Das gesamte Bauvorhaben wurde von der Auftragsvergabe an das Architektenteam bis zum Bezug durch den Eigentümer in 16 Monaten abgewickelt. Das Architekten-Duo versah die Hallen mit einer ganzflächigen Verkleidung in matt-weissem Profilbauglas. Eine Materialwahl, die schon beim ersten Betrachten ein Schneegefühl erzeugen soll und das Kerngeschäft des Unternehmens ins Zentrum rückt.

dsc_4726

Das Stahlbetonskelett ist so strukturiert, dass die einzelnen Etagen klar ersichtlich sind. Markante schwarze Geschosszeichnungen unterbrechen die weisse Gebäudehülle. Der Kontrast soll den Bezug zum schwarz-weissen Technoalpin-Logo darstellen. «Die Fassade aus Profilbauglas – eisenarm und mit Kerndämmung – war die ideale Materialwahl für dieses Gebäude. Das Glas bewirkt eine natürliche Belichtung der gesamten Hallen. Die großen Öffnungen der Skelettstruktur in Stahlbeton lassen jedoch immer wieder direktes Tageslicht durch die Glasfassade in den Innenraum eindringen. Der große weiße Monolith wird somit auch von Innen wahrgenommen», erklärt Architekt Baldi. Zusätzlich sei das System aus Profilbauglas preiswert, dauerhaft und einfach in der Wartung. Die Voraussetzung zum günstigen Bauwerk (110.000 verbaute Kubikmeter bei Baukosten von etwa 18 Millionen Euro) sieht der Architekt in der Reduktion der Materialien, der homogen großflächigen Aussenhaut und der Minimierung der konstruktiven Details. Entstanden ist dabei ein qualitativ hochstehendes Bauwerk mit industriellem Charakter, das die Betriebsabläufe des Unternehmens optimal unterstützt und eine eindeutige Botschaft vermittelt: Wir sind Schnee!

Ein ökologisch fragwürdiges Produkt, das in einem Minergie Gebäude hergestellt wird. «Ein Wolf-im-Schafspelz-Szenario»?

Wolf-im-Schafspelz?
Doch den «Schnee von Morgen» zu produzieren und die Pisten zu beschneien, hat nicht nur für die Skigebiete ihren Preis, sondern auch für die Natur. Laut Umweltaktivisten sind Schneekanonen immense Wasser- und Stromfresser und weisen eine schlechte Ökobilanz auf. Der schneeweisse Monolith in Bozen entspricht hingegen dem Südtiroler Wärmedämmstandard «Klimahaus Klasse B». Die gesamte Dachfläche ist mit einer Fotovoltaikanlage versehen. Ein ökologisch fragwürdiges Produkt, das in einem Minergie Gebäude hergestellt wird. «Ein Wolf-im-Schafspelz-Szenario»? Erich Gummerer, Geschäftsführer von Technoalpin, verneint vehement. «Wir sind uns der Verantwortung gegenüber der Umwelt bewusst und arbeiten seit über 20 Jahren daran, die Energiebilanz der Anlagen zu optimieren. Der respektvolle Umgang mit der Umwelt ist zentral. Dieser Haltung  tragen wir mit unserem Gebäude Rechnung».

In der südöstlichen Ecke des Areals wurde auf einer Fläche von rund 640m² ein Nadelwald aufgeforstet – eine Anspielung auf die alpine Landschaft, in der die Beschneiungsanlagen eingesetzt werden.

Früher waren die Technoalpin Produktions- und Lagerhallen auf fünf Standorte im Raum Bozen verteilt. Nun befinden sich alle Abteilungen unter einem Dach. Die Nutzfläche des neuen Gebäudes von 16’000m² entspricht der Grösse von neun Eishockey-Feldern. Die Wege sind kürzer, die Kommunikation direkter. Als Beispiel dafür dient der ebenerdige Montagebereich. Er ist mit einer Rampe mit der oberen Etage verbunden und ermöglicht somit einfahrenden LKWs, die Schneekanonen direkt aufzuladen und abzutransportieren. Vorher werden die lieferfertigen Schneekanonen jedoch noch vor Ort getestet – im Freien auf einem eigens dafür erstellten überdachten Teststand. Die Kanonen werden sich beim 20 minütigen Testlauf in ihrem Element fühlen. In der südöstlichen Ecke des Areals wurde auf einer Fläche von rund 640m² ein Nadelwald aufgeforstet – eine Anspielung auf die alpine Landschaft, in der die Beschneiungsanlagen eingesetzt werden.

dsc_4725

Kühle Innenwelt
Die kühle und schlichte Eleganz des Baus wird auch im Gebäudeinnern wieder aufgegriffen – und zwar so konsequent, dass man beim Betreten der Räume beinahe erwartet, dass es um einige Grad kälter wird. Denn die puren Sichtbetonflächen, die markanten Linien und die schlichte Gestaltung der offenen Innenräume schaffen eine Atmosphäre, die kalter Luft ähnelt: klar und erfrischend. Der Schnee ist als ästhetisches Motiv anhand von Bildern und hellen Farben präsent. Die mäanderförmig angeordneten Büroflächen verfügen zum Flur hin über eine Glasfront, die mit halbtransparenten Bildern von Bergkulissen bedeckt ist. Getrennt werden die Büros durch drei Innenhöfe, die als Begegnungszone, Entspannungsort oder Lichtschacht genutzt werden. Bei Nacht wird der Bau zum architektonischen Glanzstück. Das Licht schimmert durch die semitransparente Fassade und lässt in der Dunkelheit die Nutzung im Inneren nur erahnen. Eine bewusste und gezielte Lichtführung, wie die beiden Architekten betonen. «Die Produktionshallen wurden nach außen hin transluzent ausgeführt um das „Know how“ des Unternehmens nicht preis zu geben».

 

Leave a comment

Your email address will not be published. Required fields are marked *

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.