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Über mich

Christa Wüthrich ist freie Journalistin. Als Autorin, Lehrerin und IKRK Delegierte hat sie im In- und Ausland gearbeitet.

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Überlebenskampf eines kleinen Volkes

Überlebenskampf eines kleinen Volkes

La viande, qui parle – „Fleisch, das spricht“ – ist eine abfällige Bezeichnung für die Batwa, ein Pygmäenstamm in Zentralafrika. Die ehemaligen Jäger und Sammler leben am Rande der Gesellschaft. Über einen Universitätsabschluss verfügt nur eine einzige Person des kleinen Volkes: Alice Nyamihanda. Sie gilt den jungen Batwa als großes Vorbild. Doch nur wenige schaffen es, der Misere aus Armut, Krankheit und Ausbeutung zu entkommen.

In Mukingo ist niemand größer als 1,55 Meter. In diesem Slum am Rande Kisoros, Stadt im Westen Ugandas wohnt eine Batwa-Kolonie. Ohne Wasser, ohne Strom, ohne Dach über dem Kopf. Die Siedlung ist eine Mischung aus Müllhalde und Friedhof. Platz, um Gemüse anzupflanzen, fehlt. Die aus Abfall erbauten Hütten kleben am Hang. Während der Regenzeit versinken sie in der weichen Erde. Zwischen Exkrementen, Müll und im Dreck spielenden Kindern begraben die Pygmäen ihre Toten. Früher, als die Batwa noch in den Wäldern lebten, zog die Gemeinschaft nach einer Beerdigung weiter und bauten die Hütten an einem neuen Ort auf. Heute verscharren sie die Verstorbenen nachts, aus Angst, dass sie sonst erneut vertrieben werden, und leben zwischen den Toten weiter.

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Ein kleines Kind spielt mit Abfall: Alltag in Mukingo (Bild Wüthrich)

Vertrieben und verarmt
Die Vorfahren der Batwa besiedelten vor 4.000 Jahren als erste die Region der Großen Seen. Als Sammler und Jäger lebten die Pygmäen in den Wäldern von Ruanda, Burundi, Uganda und dem Kongo. Doch Entwaldung, die Ausbreitung der Landwirtschaftszonen und bewaffnete Konflikte, wie der Genozid in Ruanda und der Krieg im Kongo, haben unter den Batwa viele Opfer gefordert. Laut der Organisation Minority Rights Group International (MRG) sind sie vom Aussterben bedroht. Schätzungen zufolge leben noch an die 80.000 Batwa, 6.700 davon im Westen Ugandas. Als die ugandische Regierung 1991 beschloss, die Wälder zu einem Nationalpark zu ernennen, um die Berggorillas zu schützen, wurden die Pygmäen verjagt. Den Wald dürfen sie nur noch mit einer Bewilligung, eskortiert von einem Ranger betreten. Sie leben in ärmlichen Siedlungen außerhalb des Parks – zum Beispiel in Mukingo.

„Lasst euch nicht kleinkriegen!“

Besucher sind hier selten. Eine, die regelmäßig vorbeikommt, ist Alice Nyamihanda. Auch sie ist nur knappe 1,50 Meter groß und gehört zum Volk der Batwa. Trotzdem unterscheidet sie sich von allen anderen: Alice besitzt einen Universitätsabschluss, eine Arbeit, ein festes Einkommen und sogar eine Wohnung. „Mein Vater war Tagelöhner und starb früh. Meine Mutter arbeitete als Haushälterin und wurde in Lebensmitteln bezahlt. Um die Schuluniform und die Bücher zu bezahlen, fehlte uns das Geld. Was eine Dusche ist, wusste ich nicht. Meine Mitschüler mieden mich. Die Lehrer gaben mir schlechte Noten. Im Klassenzimmer saß ich alleine an einem Tisch, denn ich galt als schmutzig, klein und dumm“, erinnert sich die junge Frau.

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Die einzige Batwa mit einem Uni-Abschluss: Alice Nyamihanda mit ihrer kleinen Tochter Precious. (Bild Wüthrich)

Dass sie trotzdem alle Klassen absolvierte und 2010 an der Bugema University in der Hauptstadt Kampala mit einem Diplom in Entwicklungsstudien graduierte, ist Internationalen Organisationen zu verdanken. Sie unterstützten Alice finanziell während ihrer Ausbildung. Heute arbeitet die 29-Jährige für die Batwa Organisation UOBDU, die sich für die Rechte der Pygmäen einsetzt. Alice besucht die ärmlichen Siedlungen und erzählt den Kindern in Lutwa, der Sprache der Batwa, wie wichtig Bildung ist. „Wir sind nicht minder intelligent oder fleißig als andere Menschen. Unsere Herkunft muss kein Handicap sein. Und genau das möchte ich meinem Volk weitervermitteln: Lasst euch auf Grund eurer Größe und Kultur nicht kleinkriegen.“

Menschen ohne Rechte und Besitz
Auch wenn Alice für die jungen Batwa als großes Vorbild gilt, verlassen die meisten nach wenigen Jahren die Schule, um einen Gelegenheitsjob zu suchen. Das durchschnittliche ugandische Monatseinkommen von 85 Dollar wird für sie jedoch unerreichbar bleiben. Batwa werden selten in Geld, sondern in Nahrungsmitteln oder Alkohol bezahlt. Sie gelten noch oft als Menschen zweiter Klasse. Im Kongo werden sie auch als viande, qui parle – „Fleisch, das spricht“ – bezeichnet. Menschen ohne Rechte und Besitz.

Im Kongo ist der Aberglaube verbreitet, dass die beste Medizin gegen Rückenschmerzen Sex mit einer Batwa-Frau sei.

Wenige Batwa schaffen es aus der Misere der Slums auszubrechen. Prostitution, Alkohol, Drogen und Gewalt grassieren. Die prekären Lebensbedingungen fordern ihren Tribut. Viele sterben an Malaria und HIV. Von fünf Kindern stirbt über die Hälfte noch vor dem fünften Geburtstag. Wer überlebt, droht ausgebeutet zu werden. Im Kongo ist der Aberglaube verbreitet, dass die beste Medizin gegen Rückenschmerzen Sex mit einer Batwa-Frau sei. In einer 2009 in Uganda durchgeführten Studie gaben alle befragten Batwa-Frauen an, Opfer von Gewalt zu sein. Rund 70% wurden sexuell ausgebeutet.

Keine Entschädigung, keine Jobs
Während sich die Zahl der Batwa reduziert, hat sich die Population der Berggorillas stabilisiert. Laut einer Zählung der Tierschutzbehörde in Ruanda im Jahre 2010 lebten 480 Gorillas in den Wäldern zwischen Ruanda, dem Kongo und Uganda und damit 100 Tiere mehr als noch 2003. Für die Wildlife Authority und den Tourismus in Uganda sind die Berggorillas eine Goldgrube. 500 Dollar zahlt jeder Tourist, um einen kurzen Blick auf die Giganten zu werfen. Laut einem Bericht des International Gorilla Conservation Programmes (IGCP) verspricht der Gorilla- Tourismus jährlich 2,1 Millionen Dollar Umsatz, 678.000 Dollar für die lokale Bevölkerung und 946 Arbeitsplätze.

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Die Berggorillas in freier Wildbahn sind eine touristische Goldgrube. Die Batwa profitieren davon nicht. (Bild Wüthrich)

Davon sehen die Batwa wenig. Ohne Ausbildung erhalten sie keine Arbeit. Kompensationszahlungen, weil sie ihr Territorium durch den rigorosen Schutz der Berggorillas verloren haben, sind ausgeblieben. John Makombo, Chef der Uganda Wildlife Authority, sieht keinen Grund, die Batwa finanziell zu entschädigen, denn der Wald sei nie ihr Eigentum gewesen. In einem Interview mit BBC Radio im Juni 2008 meint er dazu: „Wir tragen weder die Verantwortung für die Lebensbedingungen der Batwa, noch für ihre Armut“.

 „Ohne Land hast du in unserer Kultur nichts zu sagen. Du bleibst ein Niemand und bist nicht mehr Wert als ein Stück Fleisch.“

Der Batwa-Trail
Um Geld zu verdienen, verkaufen die Batwa leere PET-Flaschen, betteln oder arbeiten als Führer auf dem „Batwa-Trail“, einer geführten Tour für Touristen durch das ehemalige Territorium der Pygmäen. Eine Gruppe Batwa zeigt dabei den Besuchern, wie sie früher gelebt haben. Einer davon ist Didas. Seine abgetragenen, dreckigen Kleider ersetzt er für die Besucher durch ein Lederkostüm. Er zeigt den Fremden, wie er früher Honig suchte, Feuer machte und Hütten baute. Theater in freier Wildbahn. 80 Dollar zahlt der Besucher für die mehrstündige Wanderung. Je 40 Dollar erhalten die Batwa-Gemeinschaften in der Region und die Uganda Wildlife Authority. Etwa drei Dollar erhält Didas als Lohn. Kommen keine Touristen, bleibt sein Einkommen aus.

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Der Batwa-Trail. Inszenierung für die Touristen, Einkommensquelle für die Batwa. (Bild Wüthrich)

Abhängig und arm – ist dies die Zukunft dieser Pygmäen? „Die Situation wird sich ändern“, ist Penninah Zaninka, Koordinatorin der Batwa Organisation UOBDU überzeugt. „Auf lokalem Niveau haben in Uganda die ersten Batwa für ein politisches Amt kandidiert, jedoch ohne Erfolg. Es fehlt an Lobbying und Geld. Doch in 15 Jahren werden sie als Lehrer, Anwälte, Ärzte oder Politiker präsent sein. Denn noch nie haben so viele Batwa wie heute eine Schule besucht.“ Doch Penninah Zaninka weiß, dass die Hürden auf dem Weg aus der Armut hoch sind. „Um eigenständig und unabhängig zu sein, müssen sie eigenes Land besitzen. Ohne Land hast du in unserer Kultur nichts zu sagen. Du bleibst ein Niemand und bist nicht mehr Wert als ein Stück Fleisch.“

Alice hat den Sprung aus Armut geschafft. Zusammen mit ihren beiden kleinen Töchtern wohnt sie in einem einfachen Raum, direkt gegenüber ihrer Arbeitsstelle. Die Wände sind rot gestrichen und von der Decke hängt eine Glühbirne. Alice ist in der Zivilisation angekommen, auch was ihr Auftreten betrifft. Sie trägt keine traditionellen afrikanischen Kleider, sondern Bluse und Rock. Auch in der Wahl ihres Partners hat sie anders entschieden, als es die Batwa gewohnt sind. Der Vater ihrer Tochter stammt nicht aus ihrem Volk. Er ist Kenianer und lebt in Nairobi. Böse Zungen behaupten, er habe als Ausländer nicht gewusst, dass er sich auf eine Batwa-Frau einlässt. Alice spricht von Liebe.

 

Der Artikel erschien der Afrikapost (4/2012) und wurde im November 2016 aktualisiert.

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http://www.suedwind-magazin.at/nicht-kleinkriegen-lassen

Videos von meinem Besuch bei den Batwa:

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