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Über mich

Christa Wüthrich ist freie Journalistin. Als Autorin, Lehrerin und IKRK Delegierte hat sie im In- und Ausland gearbeitet.

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Die dunkle Seite eines glänzenden Staates

Die dunkle Seite eines glänzenden Staates

Sauber, klein und sicher: Singapur gilt als die Schweiz Asiens. Doch hinter der perfekten Fassade schuften Hunderttausende von Billigarbeitskräften.

Die Endstation der Träume von einem besseren Leben liegt in einem einfachen Haus im Osten Singapurs. Auf engem Raum stehen 60 Betten, einfache Toiletten, Kochgelegenheiten. «Wer hier wohnt, hat alles verloren – ausser das Heimweh,» sagt Lea Abucayon. Als Hausangestellte in Singapur hoffte die Philippinin auf ein besseres Leben. «Es war die Hölle. Keine Freitage, kaum Nachtruhe, sexuelle Belästigung: Ich habe meinem Arbeitgeber gesagt, dass dies illegal sei. Er hat nur gelacht, da bin ich geflüchtet.» Doch die Flucht in die vermeintliche Freiheit bedeutet in Singapur den Sprung in die Illegalität.

«Home» betreibt die «Auffangstation» für Hausangestellte und bietet Gastarbeitern zusätzlich eine Helpline mit rechtlicher Beratung und im Extremfall Nahrung, einen Anwalt und medizinische Hilfe.

Eine Hausangestellte ohne Arbeitgeber hat kein Recht im Land zu bleiben. «Ist ein Arbeitsverhältnis zerrüttet und die Angestellte flieht, findet die Betroffene in unserer Notunterkunft Unterschlupf. Sie darf im Land bleiben, bis ihr Fall abgeschlossen ist,» sagt Jolovan Wham, Direktor von «Home», einer humanitären Organisation für Immigranten. «Home» betreibt die «Auffangstation» für Hausangestellte und bietet Gastarbeitern zusätzlich eine Helpline mit rechtlicher Beratung und im Extremfall Nahrung, einen Anwalt und medizinische Hilfe. Pro Jahr machen laut Wham an die 2000 Arbeiterinnen vom «Home»-Angebot Gebrauch.

Keinem Arbeitsgesetz unterstellt
Eine knappe Million Billigarbeitskräfte verdient ihr Geld in Singapur: auf Baustellen, in der Schifffahrt, im Service oder als Hausangestellte. Eine weitere halbe Million an Ausländern arbeitet in der südostasiatischen Metropole als Fachkraft. Die
211 000 Hausangestellten sind keinem Arbeitsgesetz unterstellt. Mindestlohn, Arbeitszeiten, Entschädigung im Krankheitsfall – alles ist der Willkür des Arbeitgebers unterstellt. Das Arbeitsministerium gibt lediglich wenige Richtlinien vor, wie ein Mindestalter von 23 Jahren bei Arbeitsantritt oder einen halbjährlichen Gesundheitscheck. Wird dabei eine Krankheit oder eine Schwangerschaft festgestellt, verliert die Hausangestellte ihre Arbeit und wird in ihr Heimatland zurückgeschickt. Auch Hausangestellte im Pensionsalter werden zurück ins Herkunftsland befördert. Laut dem singapurischen Ministerium sind Billigarbeitskräfte zum Arbeiten im Land. Sind sie dazu nicht mehr fähig, werden sie abgeschoben.

Wer nach einigen Wochen aufgibt und ohne Geld zurück in die Heimat fliegt, muss nicht nur die eigene Enttäuschung ertragen, sondern einen Schuldenberg und das Unverständnis der Familie.

Das Gehalt einer Hausangestellten liegt zwischen 300 und 600 Franken pro Monat – je nach Arbeitgeber und Arbeitserfahrung. Für Kost und Logis, Krankenkasse und eine monatliche Abgabe an den Staat kommt der Arbeitgeber auf. Vom Lohn bezahlen die Angestellten in den ersten Monaten die Vermittlungsgebühren der Agenturen – zwischen sechs bis acht Monatsgehälter. Wer nach einigen Wochen aufgibt und ohne Geld zurück in die Heimat fliegt, muss nicht nur die eigene Enttäuschung ertragen, sondern einen Schuldenberg und das Unverständnis der Familie. «Von meinem Gehalt, hätte die ganze Familie profitiert,» sagt Lea Abucayon. Zu Hause verdiente sie als Leiterin eines kleinen Supermarktes 110 Franken im Monat. Zu wenig zum Leben, zu viel zum Sterben und genau richtig, um im Ausland sein Glück zu suchen. Mehr als zehn Millionen Filipinos – etwa zehn Prozent der philippinischen Bevölkerung – arbeiten als Billigarbeitskräfte im Ausland.

Menschen zweiter Klasse
Angesprochen auf das Schicksal der Hausangestellten in Singapur schüttelt die Mehrzahl der Einheimischen nur den Kopf. «Haushaltshilfe quält alte Frau – Gefängnis!» oder «Maid misshandelt Zweijährigen!» sind gängige Schlagzeilen in den nationalen Medien. Gastarbeiter werden als Bedrohung angesehen – unehrlich und berechnend. Wird ein Einheimischer vergiftet oder erstochen, ist zuerst immer die «Maid» die Verdächtige. Jede Hausangestellte, die in eine Investigation verwickelt ist – sei es als potenzielles Opfer oder als Täterin – muss sich einem Lügendetektor-Test unterziehen. Für viele Einheimische sind die Gastarbeiter Menschen zweiter Klasse, ein notwendiges Übel. Denn ob Sicherheit oder Sauberkeit: Der Kleinstaat muss erstklassig «unterhalten» werden – und das braucht Arbeitskräfte. Nirgends auf der Welt gibt es eine höhere Dichte an Millionären und nirgends leben mehr Migranten.

Es ist zu einfach, nur ein negatives Bild von Singapur und dem Umgang mit seinen Hausangestellten zu malen. Es gibt Erfolgsgeschichten.

Doch es ist zu einfach, nur ein negatives Bild von Singapur und dem Umgang mit seinen Hausangestellten zu malen. Es gibt Erfolgsgeschichten. Hausangestellte, die zu westlichen Konditionen arbeiten, sich weiterbilden und mit einem fairen Lohn einer ganzen Sippe eine besseres Leben ermöglichen. Für Lea und ihre Kolleginnen in der «Home»-Notunterkunft bleiben solche Erzählungen ein unerreichbarer Traum. Sie kennen mehr Geschichten ohne Happy End, wie die der jungen Hausangestellten, die 2011 an Unterernährung und Erschöpfung starb. Der Arbeitgeber, ein älteres Ehepaar, verweigerte der 26-Jährigen Nahrung, Ruhe und medizinische Hilfe. Sie wog bei ihrem Tod noch 26 Kilo. Das Paar wurde im März 2014 zum Tod durch Erhängen verurteilt.

publiziert 23. November 2014, “Ostschweiz am Sonntag”

http://www.home.org.sg

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