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Über mich

Christa Wüthrich ist freie Journalistin. Als Autorin, Lehrerin und IKRK Delegierte hat sie im In- und Ausland gearbeitet.

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Wo der Fisch regiert

Wo der Fisch regiert

Lachs aus Norwegen, Thunfisch aus dem Atlantik, Krabben aus der Nordsee. In Tsukiji, dem grössten Fischmarkt der Welt, wird die «Crème de la Crème» aus den Weltmeeren verkauft und damit weltweit der Fischpreis beeinflusst.

Es ist drei Uhr morgens. Während Tokio im Tiefschlaf liegt, liefern in der Dunkelheit Hunderte von Lastwagen frischen Fisch an den Rampen der Tsukiji-Markthallen ab – von der winzigen Babysardine bis hin zum meterlangen Thunfisch. Mehr als 2000 Tonnen Meeresprodukte wechseln hier täglich den Besitzer. 400 verschiedene Arten an Fisch und Meeresfrüchten stehen im Angebot. Auf jeder Styroporkiste sind Warennummer, Gewicht und Fangort der Ware vermerkt. Über die Hälfte stammt aus dem Ausland. Verzehrt wird jedoch ein grosser Teil davon in Japan. Fisch ist im Land der aufgehenden Sonne ein Grundnahrungsmittel. Pro Jahr verzehrt jeder Japaner 57 Kilogramm Fisch und Meeresfrüchte. Zum Vergleich: Die Schweizer bringen es nur gerade auf neun Kilo.

Tsukiji bedeckt eine Fläche, die 43 Fussballfeldern entspricht. Hygiene und Gerüche sind auf dem Niveau von 1935 stehen geblieben, als der Markt eröffnet wurde.

Ein Heer von Arbeitern verlädt die Kisten auf ein Tareto. Die kleinen Gefährte – mit einem Zweitaktmotor und drei Rädern versehen – rasen wendig flink durch die Markthallen und legen jeden Morgen unzählige Kilometer zurück. Tsukiji bedeckt eine Fläche, die 43 Fussballfeldern entspricht. Geredet wird hier wenig. Im Schutz des Kühlwagens rauchen die Arbeiter hastig eine Zigarette. Im Dunkeln wirken die Taretos wie Glühwürmer. Dauernd in Bewegung, flackern sie durch die Nacht. Ihre Fahrer tragen langärmlige Pullover, Plastikschürzen und Gummistiefel.dsc08489

Frisch und Feucht. Blick durch den Fischmarkt (Bild Wüthrich)

Thunfische, grösser als Sumoringer
Denn Tsukiji ist frisch und feucht. Hygiene und Gerüche sind auf dem Niveau von 1935 stehen geblieben, als der Markt eröffnet wurde. Empfindliche Menschen würden von Gestank und Dreck sprechen. Die tonnenschweren Thunfischleiber werden mit Haken über den Betonboden geschleift und mit elektrischen Sägen in Stücke zerlegt. Ein Gemisch aus Eis, Wasser, Blut und Schweiss. Die Einkäufer stören solche Kleinigkeiten wenig. In Tsukiji regiert der Fisch. Hier wird verkauft, was der Japaner liebt. Fisch ist nicht nur Nahrungsmittel, sondern Kultur und Identität. Geruch bleibt Nebensache. Für knappe fünf Milliarden Franken werden in Tsukiji jährlich Fisch und Meeresfrüchte gehandelt. Der Markt schafft direkt oder indirekt Arbeit für mehr als 60 000 Menschen.dsc08491

Der Markt schafft direkt oder indirekt Arbeit für mehr als 60 000 Menschen. Verkäufer warten auf Kunden (Bild Wüthrich)

Die Einkäufer hetzen durch die Gänge der Hallen, um die Ware vor der Auktion zu begutachten. Die riesigen Thunfische liegen aneinandergereiht auf dem Betonboden. Die Flossen sind abgeschnitten. Sie werden getrennt verkauft. Um 5.30 Uhr morgens startet die Versteigerung der Thunfische, an verschiedenen Stellen gleichzeitig. Für Nichtjapaner ein unüberschaubares lärmendes Gewirr, ein Durcheinander an unverständlichen Wörtern, ein Chaos an Handzeichen und eine beeindruckende Masse an Thunfischen, die jeden Sumoringer klein aussehen lassen.

Rekordpreise sind Eigenwerbung
Nach einer knappen Stunde ist der Spuk vorbei. Bis der frische Thunfisch jedoch als Sushi in einem der lokalen Restaurants aufgetischt wird, wechselt er zigfach den Besitzer. Vom Broker zur Auktionsfirma, weiter zum «Ersteigerer», dann zu einem Zwischenhändler, danach an einen Grosshändler, der das gute Stück schlussendlich an ein Restaurant oder einen Fischladen verkauft.

Tsukijis Monopolstellung unter den Fischmärkten beginnt jedoch zu bröckeln. Einige der weltweit wichtigsten Thunfischhändler, wie japanische Supermarktketten und Grosshandelskonzerne, versuchen die volatilen Auktionspreise in Tsukiji zu umgehen und ziehen feste und stabile Preise vor.

Die an der Auktion erzielten Preise beeinflussen den Fischmarkt auf nationalem und internationalem Niveau. Sasha Issenberg, Autor des Buches «The Sushi Economy», umschreibt die Wirkung von Tsukiji auf den Fischwelthandel als Kombination aus «Wall Street und Sotheby’s». Mit den in den Medien oft erwähnten Rekordpreisen ist bei den täglichen Auktionen jedoch nicht zu rechnen. Der teuerste Thunfisch wurde im Januar 2013 vom Chef einer Sushi-Restaurantkette für 1,7 Millionen Franken ersteigert. Der frische Thunfisch wog 222 Kilo, was für rund 10 000 Stück Sushi genügte und einem Kilopreis von 7000 Franken entsprach. Normalerweise sind die Preise viel tiefer. Mitte Oktober, zum Beispiel, lag der Preis für ein Kilo japanischen Thunfisch bei etwa 20 Franken.

Kenner der Branche erklären, dass die schlagzeilenträchtigen Rekordpreise an der ersten Versteigerung des Jahres erzielt werden, wenn nationale und internationale Zeitungen darüber berichten. Bezahlt wird dabei nicht die Qualität des Fisches, sondern die Werbung in eigenem Namen. Tsukijis Monopolstellung unter den Fischmärkten beginnt jedoch zu bröckeln. Einige der weltweit wichtigsten Thunfischhändler, wie japanische Supermarktketten und Grosshandelskonzerne, versuchen die volatilen Auktionspreise in Tsukiji zu umgehen und ziehen feste und stabile Preise vor.

Früher waren die Tsukiji-Auktionen öffentlich. Doch Touristen berührten die Ware, stolperten über die teuren Thunfische und störten die Geschäfte. Nachdem ein japanisches Kamerateam betrunkene Engländer filmte, wie sie einen mehrere Tausend Franken teuren Thunfisch ableckten, wurden Touristen von den Versteigerungen verbannt. Die Ausnahme sind jene 120 Personen, die sich täglich als Erste beim Marktbüro registrieren. Sie werden für kurze 20 Minuten durch die Auktion geschleust. Doch oft sind diese Plätze schon um 3 Uhr morgens vergeben. Wer sich einen der begehrten Auktionsplätze sichern will, schläft vor dem Registrierungsgebäude.

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Ein Auktionsplatz zu ergattern, ist schwer. Polizist bewacht Ankündigung. (Bild Wüthrich)

Für reguläre Besucher wird der Markt erst um 9 Uhr geöffnet, wenn die wichtigen Geschäfte erledigt sind. Tsukiji gehört zu den Top-Sehenswürdigkeiten Tokios. 1935 wurden die Hallen am Hafen der Stadt gebaut. Heute liegt der Fischmarkt mitten 
in der boomenden 
Grossstadt zwischen 
Hochhäusern, die auf aufgeschüttetem Land erbaut
 wurden, und der Nobeleinkaufsmeile Ginza. Die alten, maroden Lagerhallen entsprechen nicht mehr den Anforderungen eines modernen Fischmarktes.

Bei ersten Grabungen auf dem neuen Areal wurde festgestellt, dass der Boden mit Schwermetallen belastet ist. Wann der Fischmarkt umzieht, steht auch im Herbst 2016 noch nicht fest. Der geplante Umzug im November wurde verschoben.

Seit Jahren plant die Stadtverwaltung, den Markt in ein Industriegebiet zu verlegen und die Fläche kommerziell zu nutzen. Zusätzlich ist für die Olympiade 2020 zentraler Platz gefragt. Der Fischmarkt wäre die ideale Fläche. Ganz in der Nähe wird das olympische Dorf errichtet. Doch die Sache gestaltet sich kompliziert. Im September 2013 liess die Tokioter Stadtverwaltung verlauten, dass kein Bauunternehmen gefunden worden sei, welches den geplanten neuen Fischmarkt bauen wolle. Steigende Löhne und Kosten, explodierende Rohstoffpreise, Mangel an Bauarbeitern und ein zu eng gesetzter finanzieller
 Rahmen werden als 
Gründe für das fehlende
 Interesse am Bauprojekt angegeben, dessen Gesamtsumme bei mehr als 600 Millionen Franken liegt. Zusätzlich wurde bei ersten Grabungen auf dem neuen Fischmarktareal festgestellt, dass der Boden mit Schwermetallen belastet ist. Wann der Fischmarkt umzieht, steht auch im Herbst 2016 noch nicht fest. Der geplante Umzug im November wurde verschoben.

 

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