Herr Holle
„Mit Glück schneit es die nächsten 80 Jahre durch. Hören sie nicht auf zu schütteln. Das wäre fatal. Für die Kugel. Das Schlimmste was einer Schneekugel geschehen kann, ist in Ruhe gelassen zu werden. Die Flocken können sich verklumpen. Ein feines Schneegestöber wird schwer“, sagt Erwin Perzy, der Dritte. Herr Holle persönlich.
Er muss es wissen. Denn erfunden haben die Kugel für einmal nicht die Schweizer, sondern ein Österreicher: Chirurgie-Instrumenten-Mechaniker Erwin Perzy, der Erste. Selig. Beim Versuch, die Beleuchtung für Operationssäle zu verbessern, experimentierte er Ende des 19. Jahrhunderts mit wassergefüllten Glaskugeln. Damit das Licht reflektierte, fügte er verschiedene Materialien hinzu. Gries erinnerte ihn an Schneefall. Er setzte eine Miniatur der Basilika Mariazell ins Glas, verschloss es luftdicht und erfand somit die erste „Glaskugel mit Schneeeffekt“. Eine kaiserliche Ehrung, drei Generationen und Millionen von Schneekugeln später ist der Dauerschneefall immer noch ein Renner. Die Klimaerwärmung geht an der Kugel spurlos vorbei. Die Finanzkrise lässt sie kalt. Egal wie schnell sich die Welt um die Kugel dreht: Leise rieselt der Schnee. Weisse Weihnachten sind garantiert – auch in Honolulu. Zu den treuen Kunden gehört das Erziehungsministerium der Vereinigten Arabischen Emirate. Die Grundschulen wurden dort mit Schneekugeln ausgerüstet. Die Kinder sollen richtigen Schneefall erleben. Hautnah.
Natürlich befindet sich die Konkurrenz nicht im Winterschlaf. Im Gegenteil: Schneekugeln aus China sind überall auf dem Markt. Ernst nimmt Erwin Perzy die Konkurrenz nicht.
Fabriziert werden die original Schneekugeln jedoch immer noch in Wien. Und nur in Wien. Natürlich befindet sich die Konkurrenz nicht im Winterschlaf. Im Gegenteil: Schneekugeln aus China sind überall auf dem Markt. Ernst nimmt Erwin Perzy die Konkurrenz nicht. „Nur in unseren Originalkugeln schneit es leicht, natürlich und bis zwei Minuten lang. Und das schätzen unsere Kunden. Asiatischen Firlefanz und Glitzer-Glimmer-Effekte suchen sie bei uns vergebens“, sagt der Schneekönig persönlich. Locker-flockig wie immer. Denn im Schneemachen haben die Perzys über hundert Jahre Erfahrung – und das sollen die Chinesen zuerst einmal nachmachen.
Im Schneemachen haben die Perzys über hundert Jahre Erfahrung. Tür zur Werkstatt. (Bild Wüthrich)
Im Haus eines ehemaligen Pferdefleischhauers im 17. Bezirk werden jährlich rund 200 000 Kugeln hergestellt. Gehauen wird nicht mehr, sondern erfunden. Zu den 2000 verschiedenen Sujets kommen jährlich rund 40 bis 50 neue dazu. Ausgedacht und entwickelt vom Chef persönlich. Schneekugelkunden gibt es wie Sand am Meer. Kategorisieren kann man sie und ihre Wünsche nicht. Da ist der Sohn, der zum 40. Geburtstag von seiner Mutter eine Kugel bekommt, in der es unablässig auf seinen ehemaligen Schnuller schneit. Oder der Enkel, der sich beim grosszügigen Grossvater für das geschenkte Palais mit einer Kugel bedankt; darin die Kopie des Hauses im Schneegestöber. Das goldene Wiener Hirn des Jahres 2005 – eine Auszeichnung für überragende Forschungsarbeit – erhielt eine Kugel mit einem goldenen Hirn in der Mitte. Der Uhrenkonzern Swatch liess in die Kugel eine Uhr setzen. Nach einem Jahr stand sie still. Die Batterie war verbraucht. Weitergeschneit hat es trotzdem.
Nicht alles schafft den Sprung in Erwin Perzys Kugeln. Mord, Krieg und Totschlag bleiben draussen. „Waffen sind tabu. Es soll eine heile Welt bleiben. Panzer gibt es nicht. Gegen Penisse habe ich nichts einzuwenden.“
Nicht alles schafft den Sprung in Erwin Perzys Kugeln. Mord, Krieg und Totschlag bleiben draussen. „Waffen sind tabu. Es soll eine heile Welt bleiben. Panzer gibt es nicht. Gegen Penisse habe ich nichts einzuwenden.“ Doch ob Hirn oder Haus – alles ist Handarbeit. Der Sockel aus Kunststoff, die Miniaturfiguren aus recyceltem Plastik. Das Wasser ist original Wiener Hochquellwasser. Erwin Perzy schwört darauf. Das Wasser sei enorm sauber und habe kaum Bakterien. In der Kugel bilden sich keine grünen oder braunen Ablagerungen. Die heile Welt bleibt unbefleckt. Doch woraus besteht der Schnee?
Waisenkinder in Ruanda mit einer geschenkten Schneekugel. (Bild Wüthrich)
Das Rezept ist geheim. Streng geheim. Die Rezeptur liegt in einem Tresor. Nur Erwin Perzy III und seine Tochter Sabine Perzy II haben Zugang. Parallelen zu Coca Cola und deren verschlossenem Geheimrezept quittiert Perzy mit einem Schulterzucken. „Coca Cola kann man sicher nicht in die Kugel geben.“ Wenn schon ein Vergleich, dann ein anderer. Schneekugeln seien wie Sushi. Für die Japaner seien die Kugeln so exotisch, wie für uns roher Fisch. Klein, fremd und überraschend. Die Japaner lieben sie. Jede dritte landet im Land der aufgehenden Sonne. Die Kugel ist nicht nur in Japan ein Liebhaber- und Prestigeobjekt. Bill Clinton und Ronald Reagan haben eine original Wiener Schneekugel. Die Bestellung für Präsident Obama kam so kurzfristig, dass Perzy den Auftrag vorerst ablehnen musste. Doch auch im dichtesten Schneegestöber wird klar: Wer Rang und Name hat, gibt sich die Kugel. Symbolisch natürlich. Aus der Reihe tanzt nur James Bond. Er bleibt dabei – gerührt, nicht geschüttelt.