Den Stammbaum im Gesicht
Die Neuseeländerin Nanaia Mahuta trägt ein Moko; ein traditionelle Tätowierung der Maori und zwar am Kinn. Ein Fakt, für den sich kaum jemanden interessieren würde, wäre die 50-Jährige nicht die neue neuseeländische Aussenministerin und damit die erste Frau und Maori in Neuseeland, die dieses Amt ausübt. Mahuta ist damit auch die erste Politikerin weltweit, die mit einem Gesichtstattoo auf die internationalen Politbühne tritt. Doch was ist ein Moko überhaupt?
„Nennen sie es auf keinen Fall Tattoo. Damit hat ein Moko nichts zu tun“, warnt Richard Francis, einer der angesehensten Moko-Experten in Neuseeland. „Bei einem Moko werden mit scharfen Albatrosknochen Ornamente, Figuren und Zeichen unter die Haut geritzt und gehämmert. Dann wird eine Art „Pigment“, bestehend aus Ruß von verbranntem Kauri Harz vermischt mit Fett in die Hautritzen gefüllt“, erklärt der Moko-Fachmann. Eine blutige, schmerzhafte Prozedur, die narbige Erhebungen zurücklässt. Früher waren es oft Stammeshäuptlinge und Krieger, die ein Gesichts-Moko trugen: Die Gesichtsverzierung war ein Zeichen von Status und Stärke, Stolz und Attraktivität. Die Zeichnungen widerspiegelten die Identität, die Herkunft und die Geschichte des Trägers – von seiner Kaltblütigkeit im Kampf bis hin zur Position in der Sippe. Bei Frauen waren vor allem Kinn- und Mundpartie verziert und die Lippen schwarz gefärbt. Bei den Männern wurde teilweise das ganze Gesicht bearbeitet. Unter den europäischen Einwanderern im 19. und anfangs 20. Jahrhundert verlor die Moko-Kunst jedoch an Bedeutung.
Mokos sind salonfähig geworden. An Stelle von Albatrosknochen sind in den meisten Fällen Nadel und Tinte gerückt. Die einst abenteuerliche Prozedur unterliegt nun strengen Hygiene- und Gesundheitsvorschriften.
Ein Trend, der geschützt werden muss
In den vergangen Jahren rückte in Neuseeland die Maori Kultur politisch und sozial wieder in den Vordergrund. Seit 1987 gilt die Sprache der Maori neben Englisch als Amtssprache. Im Juli 2004 wurde die Maori-Partei gegründet. Seit 2005 ist sie im Parlament vertreten. Maori zu sein, begann kein soziales Stigma mehr zu sein, sondern ein klares Bekenntnis zu den eigenen Wurzeln. „In den 80er Jahren gab es im ganzen Land etwa fünf Moko-Artists. Heute findet man sie in jedem Dorf“, erklärt Richard Francis. Mokos sind salonfähig geworden. An Stelle von Albatrosknochen sind in den meisten Fällen Nadel und Tinte gerückt. Die einst abenteuerliche Prozedur unterliegt nun strengen Hygiene- und Gesundheitsvorschriften. Bekannte Rugby-Spieler tragen Mokos – sei es auf Armen, Beinen oder Po. Der Englische Sänger Robbie Williams schmückt seinen Arm mit einem entsprechenden Ornament und auch Ben Harper, Sänger und Gitarrist hat seinen Körper mit Maori-Verzierung versehen. Die Neugier eines Millionenpublikums weckte schlussendlich aber der neuseeländische Film “Once Were Warriors”, in dem Mokos omnipresent sind.
Heute entscheiden sich auch Geschäftsleute, Studentinnen und Anwälte bewusst für eine traditionelle permanente Körperbemalung. „Es ist ein Schmuck und zugleich ein Statement: Seht her, ich bin stolz ein Maori zu sein“, erklärt eine junge Studentin mit einem Moko auf dem Oberarm. Um das Moko-Handwerk und die Kunst der Maori zu schützen, gründete Richard Francis zusammen mit anderen Künstlern die Nationale Kunstorganisation „Te Uhi a Mataora“. „Ein Moko-Artist zu sein, ist mehr als ein Beruf. Man muss Maori sein, die Sprache sprechen, die Geschichte kennen, die Mystik hinter den Symbolen zu deuten wissen und dabei sich und der Kultur treu bleiben. Das braucht Jahre an Erfahrung“. Richard Francis weiss wovon er spricht. Der Familienvater arbeitet seit 15 Jahren als Moko-Artist und sticht an die 360 Mokos pro Jahr. Keins davon sei identisch. „Oder gleicht meine Geschichte etwa der Ihrigen?“
Sticht an die 360 Mokos pro Jahr: Richard Francis, Mokoartist, Rotorua, Neuseeland (Bild Wüthrich)
Nur mit dem Segen der Familie
Sich ein Moko stechen zu lassen, bedeutet nicht nur ein paar Stunden auf die Zähne zu beissen, sondern sich während Wochen intensiv mit der eigenen Geschichte zu befassen, um sie danach lebenslang auf der Haut zu tragen. Im Extremfall auf der Stirn, dem Kinn oder den Wangen. “Oft kommt die ganze Familie in mein Studio. Denn ein Moko spiegelt nicht nur die Geschichte des Individuums, sondern der ganzen Sippe. Nur wenn ich den Segen der Familie habe, mache ich mich an die Arbeit“, umschreibt Richard seinen Arbeitsalltag.
“Moko ist kein Lifestyle Produkt oder dekorative Kosmetik, die einem Modetrend entspricht. Moko zeigt von wo ich komme und wer ich bin – meine ganz private Storyline“.
Einfluss betreffend der Gestaltung des Mokos hat der Kunde keinen. Die Geschichte übernimmt das Diktat. Wellenförmige Muster, Spiralen und Ornamente bedecken die Haut – eine Art Code betreffend der Identität des Trägers. “Moko ist kein Lifestyle Produkt oder dekorative Kosmetik, die einem Modetrend entspricht. Moko zeigt von wo ich komme und wer ich bin – meine ganz private Storyline“. Abgeschlossen ist ein Moko nie. Die Geburt eines Kindes, ein Todesfall in der Familie: Lebensgeschichte und Moko wachsen.
Keine Mokos für Touristen
Knappe fünf Prozent von Richards Klienten sind keine Maoris. Der Begriff “Moko” – ein Wort mit grosser Ehre – sei jedoch für Maoris reserviert. „Ta moko” – umschreibt die traditionelle Körper-Kunst der Maori. Möchte sich ein Weisser seine Geschichte unter die Haut spritzen lassen, wird dies hingegen „Kiri-tuhi“ genannt. “Kiri” steht für Haut; “tuhi” für zeichnen oder schreiben. Damit bleibt die Ehre des Wortes “Moko” erhalten und der „Nicht-Maori“ kommt trotzdem auf seine Rechnung. An die 150 Franken kostet eine Stunde Arbeit des Moko-Artisten. Doch trotz „Moko-Boom“ sind Gesichtsverzierungen immer noch sehr selten – sei es bei Frauen oder Männern. „Vielleicht ist es die Angst sich ausserhalb der eigenen Sippe zu entblössen, die Angst vor negativen Reaktionen“, mutmasst Richard. Er selbst trägt darum kein Gesichts-Moko.
Auf der Strasse in Rotorua, einem Zentrum der Maori-Kultur auf der Nordinsel Neuseelands möchte sich keine der Frauen mit einem Gesichts-Moko fotografieren lassen. In ihrer Familie seien Mokos Tradition, erklärt eine ältere Dame, deren Kinn kunstvoll verziert ist. Ihre Lippen und Augen sind dezent geschminkt. Ein Gesicht, wie gemalt.
Die richtigen Gesichts-Mokos haben zusammen mit unseren Kriegerinnen und Kriegern aufgehört zu existieren“, erzählt ein Weiser des Stammes der “Te Arawa“. „Denn damals durfte sich nur mit einem Moko schmücken, wer zuvor das Fleisch seines Gegners verspeiste.
Wie sich die Moko-Kultur in den nächsten Jahren entwickelt, wird sich zeigen. Für die älteren Maoris ist das Thema schon seit Jahrzehnten abgeschlossen. „Die richtigen Gesichts-Mokos haben zusammen mit unseren Kriegerinnen und Kriegern aufgehört zu existieren“, erzählt ein Weiser des Stammes der “Te Arawa“. „Denn damals durfte sich nur mit einem Moko schmücken, wer zuvor das Fleisch seines Gegners verspeiste. Aber diese Zeiten sind ja vorbei!“
veröffentlicht November 2011 in der Zeitschrift “Kosmetik International”