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Über mich

Christa Wüthrich ist freie Journalistin. Als Autorin, Lehrerin und IKRK Delegierte hat sie im In- und Ausland gearbeitet.

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Wir alle sind Bananen!

Wir alle sind Bananen!

Die aktuelle Sonderausstellung im Kulturama in Zürich zeigt, wie die Urzeit unser Leben beeinflusst. Was steckt geschichtlich und genetisch in uns – Fische, Vögel oder wirklich Bananen?

Die Urzeit gehört in jeder Schule zum Pflichtstoff – und fühlt sich für einige Schülerinnen und Schüler wie auch für Lehrpersonen wohl oft genau so an, wie sie klingt: veraltet, abgegriffen und aus der Zeit gefallen. Wie wichtig sind im Zeitalter der Digitalisierung verstaubte Fossilien und primitive Werkzeuge? Was haben Neandertaler und Eiszeiten mit der Gegenwart zu tun? Um genau diese Standpunkte – und Trugschlüsse – zu widerlegen und die Faszination an der Urzeit neu zu wecken, hat das Kulturama Museum des Menschen in Zürich an die 3000 Arbeitsstunden und über zwei Jahre Vorbereitungszeit investiert. Das Resultat, die Ausstellung «Wie viel Urzeit steckt in dir?», wird seit Mitte September und noch bis August 2018 der Öffentlichkeit präsentiert. Die Frage «Was hat die Urzeit mit unserem eigenen Leben zu tun?» zieht sich dabei wie ein roter Faden durch die ganze Ausstellung. «Die Urzeit scheint weit weg zu sein, aber in evolutionären Zeiträumen gedacht, ist sie sehr nah», erklärt Claudia Rütsche, Direktorin des Kulturama. Sie fügt hinzu: «Die Ausstellung offeriert einen Blick zurück in die Vergangenheit, um die Gegenwart anders zu betrachten und damit Schlüsse für die Zukunft zu ziehen.»
Die Besucherinnen und Besucher sollen sich nicht nur fragen «Wo stehe ich in meinem Leben?», sondern auch «Wo stehe ich in der Menschheitsgeschichte?». Die Ausstellung ermöglicht, die Menschheit als Ganzes, aber auch sich selbst als Individuum neu zu entdecken und zu hinterfragen: Warum haben sich unsere Vorfahren überhaupt auf eine Völkerwanderung gemacht? Was bewegt uns heute und in Zukunft? Welche körperlichen Eigenschaften und Verhaltensweisen zeigten schon die Urmenschen? Sind es meine Eckzähne oder eher die Angst vor dem Dunkeln?

Und was sind wir schlussendlich: Banane, Huhn oder Maus? Plakat zur Ausstellung (Bild: Wüthrich)

Die eigenen Überlegungen zählen
Wer die Sonderausstellung betritt, wähnt sich auf einer Ausgrabungs-Expedition. Graue Grabungskisten und gelbe Schaltafeln, die normalerweise in der Archäologie als Arbeitsmaterial dienen, wurden kurzerhand zu Tischen und Ablagen umfunktioniert. Darauf und darin werden die einzelnen Schwerpunktthemen präsentiert: von Energie und Landwirtschaft über Kommunikation, Evolution und Genetik bis hin zu Klima, Ernährung und Tod. Wissenschaftliche Informationen werden durch Skizzen, Bilder, Figuren, Filmsequenzen, Experimente, Spiele und Rätsel ergänzt. «Wir setzten bewusst auf analoge, interaktive Spiele und Aktivitäten. Die Erfahrung zeigt, dass sich die Kinder mehr an ein gemeinsam gespieltes Memory oder eine selbst gebaute Energieverbraucherpyramide erinnern als an ein Videospiel oder einen Kurzfilm», erklärt Ausstellungsmacherin Rütsche. Zusätzlich seien Computer in einer Ausstellung unglaublich störungsanfällig. «Wenn jedes zweite Gerät nicht funktioniert, ist das für die Besucher und die Kuratoren frustrierend.»

Ist Schreibenlernen ein Menschenrecht? Womit sollen Kinder spielen? Und was bleibt von mir?

Museumspädagoginnen oder -pädagogen führen Schulklassen in die Ausstellung ein. Dabei werden Erklärungen geliefert, aber nicht vorgefertigte Antworten – es sind die eigenen Überlegungen, die zählen. Danach erledigen die Schülerinnen und Schüler individualisierte Arbeitsaufträge, die jeweils in kleinen grauen Ausgrabungskisten aufbewahrt sind. In Zweierteams nehmen sie sich eine Box, suchen in der Ausstellung die geforderten Informationen und lösen die Aufträge. Die Ausstellung wird so selbständig erkundet, die Interessengebiete individuell gewählt. Experimentieren, erleben, erfahren und diskutieren steht dabei im Mittelpunkt. Wer eine Aufgabe erledigt hat, schnappt sich die nächste Kiste. Motivationsprobleme gibt es keine. Die meisten Kinder vergessen, eine Pause zu machen, weiss Rütsche aus Erfahrung.

Schaltafeln und Grabungskisten: Blick in die Ausstellung (Bild Kulturama Josef Stücker)

Den gesamten Inhalt der Ausstellung fassbar zu machen, ist schwer, und darin liegt genau die Stärke von «Wie viel Urzeit steckt in dir?». Die einzelnen Themenschwerpunkte bieten ungemein viel Wissen. Immer mit einem klaren Bezug zur Urzeit, werden sie dennoch nicht auf ein Kernthema reduziert. Eine Klasse, die sich auf das Thema Energie fokussiert, kommt genauso auf ihre Kosten wie eine Gruppe, die sich auf Genetik konzentriert. Bei Letzterem wird übrigens klar aufgezeigt, dass der Mensch tatsächlich zu 50 Prozent die DNA der Banane besitzt. In Absprache mit den Lehrpersonen kann die Museumspädagogin oder der Museumspädagoge die Führung den jeweiligen Bedürfnissen der Klasse anpassen – von der Kindergartenstufe bis zur Studentengruppe. Wichtig sei, dass der Museumsbesuch nicht isoliert vom Schulstoff, sondern eingebunden in die gerade aktuellen Lerninhalte sei, so Rütsche.

Ein Wechselspiel zwischen Philosophie und Wissenschaft
Dem Kulturama-Team war es wichtig, der Ausstellung auch eine philosophi- sche Ebene zu geben. Mit Fragen rund um die menschliche Existenz werden die Besucherinnen und Besucher zum Nachdenken angeregt: Ist Schreibenlernen ein Menschenrecht? Was verstehen wir nicht? Womit sollen Kinder spielen? Die Rückmeldungen auf die im Raum verteilten Fragen sind positiv: «Endlich werden Fragen gestellt, für die es keine fixen Antworten gibt und bei denen auch Google nicht hilft», betont eine Besucherin. Der Sprung von der philosophischen Ebene zurück zur Wissenschaft ist spielerisch.

In der Schweiz ist die Wahrscheinlichkeit, zum Fossil zu werden, sehr gering – statistisch gesehen gewinnt man eher im Lotto. 

Die Frage «Was bleibt von mir?» zeigt beispielsweise in philosophischer Hinsicht die eigene Endlichkeit auf und klärt gleichzeitig die materiellen und wissenschaftlichen Aspekte ab. Oder: «Habe ich die Chance, zum Fossil zu werden?» Die gelieferten Antworten sind kurz und verständlich. In der Schweiz ist die Wahrscheinlichkeit, zum Fossil zu werden, sehr gering – statistisch gesehen gewinnt man eher im Lotto. Mit der Antwort im Gepäck geht es dann zurück zur Philosophie: «Doch was bleibt dann von einem übrig, wenn nichts bleibt?»

Was zählt, sind die eigenen Überlegungen: Besuchernotizen (Bild: Wüthrich)

Das Thema Urzeit wurde von Direktorin Rütsche und ihrem Team nicht zufällig gewählt. Es soll an den Museumsgründer Paul Muggler (1917–2006) erinnern und seine Arbeit würdigen. Muggler gilt als Pionier der Museumspädagogik und hätte dieses Jahr seinen 100. Geburtstag gefeiert. «Schon bei der Eröffnung des Museums 1978 hat er zwei Fragen in den Mittelpunkt gestellt: Woher kommst du? Wohin gehst du?», erinnert sich seine Nachfolgerin Claudia Rütsche. Und es sind genau diese Fragen, die fast 40 Jahre und 12000 pädagogische Führungen später immer noch alle Altersgruppen beschäftigen.

25000 Besucherinnen und Besucher zählte das Kulturama im vergangenen Jahr. Das Museum gehört damit zu den zehn bestbesuchten in der Stadt Zürich. Die Hälfte der Besuchenden sind Kinder und Jugendliche im Klassenverband. Zu den restlichen 50 Prozent gehören Familien mit Kindern. «Oft bringen Kinder nach einer Führung mit der Klasse am Wochenende ihre Eltern und Geschwister ins Museum – und erklären ihnen dann die Ausstellung», stellt Rütsche fest. «Kinder und Jugendliche, die zu Ausstellungsexperten werden und begeistert ihr Wissen weitergeben: Gibt es ein grösseres Kompliment an eine Ausstellung?» 

Weiter im Netz 
www.kulturama.ch

publiziert Dezember 2017 ,”Bildung Schweiz” (12/2017)

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