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Über mich

Christa Wüthrich ist freie Journalistin. Als Autorin, Lehrerin und IKRK Delegierte hat sie im In- und Ausland gearbeitet.

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Kontroverse um islamische Bildungsinstitutionen

Kontroverse um islamische Bildungsinstitutionen

In Wien werden an die 10 000 Kindergärtler in islamisch geprägten Institutionen unterrichtet. Wie sieht die Situation in der Schweiz aus?

Ednan Aslan ist Religionspädagoge an der Uni Wien und verfasste im Auftrag des österreichischen Aussenministeriums eine Studie zu muslimischen Kindergärten und Krippen in Wien. Die Erkenntnisse – komplett veröffentlicht Ende Februar 2016 – sorgen bis heute für Wirbel. In der österreichischen Hauptstadt gibt es laut Studie schätzungsweise 150 muslimische Kinderbetreuungseinrichtungen, die sich um rund 10 000 Kinder kümmern. Laut Aslan bietet «ein nicht gering zu schät­zender Teil dieser Kindergärten neben den offiziellen Konzepten ein Sonderpro­gramm zur religiösen Erziehung an, das die Kinder nicht für die Gesellschaft vorbereitet, sondern sie vor der Gesellschaft bzw. den gesellschaftlichen Werten schützen soll.» Verschleierte Kindergartenlehrerinnen, strafende Gottesbilder oder Scharia geprägte Leitbilder dienen als Beispiele aus der Praxis, um die Studienresultate zu unterstreichen.

Rechte Politiker sprechen von einer Radikalisierung im Kindergarten. Das linke Lager vermutet eine populistische Hetzjagd gegen Muslime.

Kindergarten-Offensive hat auch Schattenseiten
In Österreich könnten die Meinungen über die Studienresultate unterschiedlicher nicht sein. Rechte Politiker sprechen von einer Radikalisierung im Kindergarten. Das linke Lager vermutet eine populistische Hetzjagd gegen Muslime. Fakt ist, dass es in Wien seit September 2009 den Gratis Kindergarten gibt. Das heisst, jedes Kind bis sechs Jahre hat das Recht, kostenfrei in einem städtischen Kindergarten betreut zu werden. Die Stadt selbst konnte zu Beginn nur 40 Prozent der versprochenen Betreuungsplätze zur Verfügung stellen. In die «lukrative» Lücke sprangen private Träger – zum Beispiel islamische Vereine; diese wurden vom Staat kräftig gefördert. Auch 2015 wurde noch jeder private Kindergartenplatz mit 500 Euro pro Monat gefördert. Die Stadt liess sich die öffentlichen und privaten Kindergärten und Krippen im vergangenen Jahr über 780 Millionen Euro kosten. 83 000 Betreuungsplätze für Null- bis Sechsjährige sind damit gesichert. Jährlich sollen 3000 neue Plätze dazukommen. Doch die grosse Wiener Kindergarten-Offensive hat Schattenseiten: Laut Bildungspolitikern mangelt es an gut ausgebildetem Personal und ausreichenden Qualitätskontrollen. Fördergelder wurden missbraucht, die Interessen der Kindergartenbetreiber kaum hinterfragt und die Bildungsinhalte mangelhaft geprüft.

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Wo werden weltliche Werte vermittelt? Und ab wann dominiert die Religion? Kleiner Junge beim Studium des Korans.

Privatschulen müssen sich am Lehrplan orientieren
«Die Situation in Österreich ist mit der Schweiz nicht vergleichbar», betont Martin Wendelspiess*, Leiter des Volkschulamts der Stadt Zürich. «Privatschulen und private Kindergärten sind bei uns eine kleine Minderheit. Islamische Kindergärten gibt es meines Wissens in der Deutschschweiz keine.» 2014 lehnte das Zürcher Volksschulamt das Gesuch des islamischen Kindergartens Al Huda in Volketswil ab. Der Entscheid wurde sowohl vom Regierungsrat als auch vom Verwaltungsgericht gestützt. Al Huda – was übersetzt der rechte Weg heisst – zog den Fall vor das Bundesgericht weiter. Das Urteil wurde auch dort bestätigt. Die Bildungsdirektion begründete ihren Entscheid unter anderem mit der Unvereinbarkeit der religiösen Lerninhalte mit dem Zürcher Lehrplan.

«Die Privatschulen in der Schweiz haben sich am Lehrplan der Volksschule zu orientieren. Sie haben die Bildung so zu gewährleisten, dass die Schülerinnen und Schüler in ihrer Leistungsfähigkeit, Persönlichkeitsbildung sowie körperlicher und seelischer Entwicklung auf eine Art gefördert werden, die mit der Volksschulbildung vergleichbar ist», präzisiert Wendelspiess. Eine «negative» Bewilligungsvoraussetzung sei, wenn Privatschulen pädagogische und weltanschauliche Werte vermitteln, die den Zielen der Volksschule in fundamentaler Weise zuwiderlaufen. Zusätzlich sind Privatschulen im Kanton Zürich verpflichtet, ihre Verbindungen zu ideellen Vereinigungen zu publizieren sowie über die Eigentumsverhältnisse und die personelle Besetzung der leitenden Funktionen Auskunft zu erteilen. Ein Fall wie in Wien, wo laut Studie die Muslimbruderschaft mehrere Kindergärten betreibt, ist damit unmöglich. Alle zwei Jahre werden im Kanton Zürich die privaten Bildungsinstitutionen besucht, denn mit Einführung des aktuellen Volksschulgesetzes im Jahr 2007 wurde die Kindergartenstufe Teil der obligatorischen Volksschule und damit bewilligungspflichtig. Zudem müssen die Schulen in der Regel jährlich einen Bericht einreichen.

Spielgruppen sind im Vergleich zu Kindergärten oder Kinderkrippen nicht bewilligungspflichtig. «Die Gruppen sind allesamt privat organisiert, mehr als die Hälfte als Einzelfirma.

Spielgruppen brauchen keine Bewilligung
Die Situation im Kanton Basel-Stadt sieht gleich wie in Zürich aus. Laut Simon Thiriet, Leiter Kommunikation des Erziehungsdepartements des Kantons Basel-Stadt, gibt es weder einen islamischen Kindergarten noch eine islamische Schule. Einzig Spielgruppen für muslimische Kinder sind Thiriet bekannt. Spielgruppen sind im Vergleich zu Kindergärten oder Kinderkrippen nicht bewilligungspflichtig. «Die Gruppen sind allesamt privat organisiert, mehr als die Hälfte als Einzelfirma. Wir kennen drei muslimische und zwei jüdische Spielgruppen. Daneben gibt es einige von christlichen Kirchen getragene Einrichtungen», betont Thiriet. Im Kanton Basel-Stadt werden alle vier Jahre die Bewilligungen der privaten Institutionen überprüft. Jeder Privatkindergarten und jede Privatschule hat eine für sie zuständige Aufsichtsperson, welche die Institution einmal jährlich besucht und im Austausch mit der Leitung des Privatkindergartens oder der Privatschule steht. Wendelspiess wie Thiriet betonen, dass einer muslimischen Bildungsinstitution – sei es ein Kindergarten oder eine Schule – nichts im Wege steht, solange gesetzliche Vorgaben und moralische Wervorstellungen erfüllt werden – seien es demokratische Grundwerte, eine transparente Organisationsstruktur oder die Orientierung am kantonalen Lehrplan. Zahlreiche jüdische Schulen und Kindergärten sind in beiden Kantonen seit Jahren bewilligt. Der Entscheid «Al-Huda» sei kein Grundsatzentscheid für die Schweiz.

«Klar ist, dass sobald etwas mit ‹islamisch› bezeichnet wird, es automatisch als suspekt gilt.»

«Ich bedauere den negativen Entscheid betreffend Al­-Huda», erklärt Belkis Osman­Besler, Vizepräsidentin der Vereinigung Islamischer Organisationen Zürich (VIOZ). «Objektiver wäre es gewesen, ein Pilotprojekt zu bewilligen. Unzulänglichkeiten hätten direkt thematisiert und verbessert werden können», konkretisiert Osman. Ob die Behörden im Bezug auf einen islamischen Kindergarten unnachgiebiger sind als im Fall eines evangelischen oder jüdischen Kindergartens, möchte Osman nicht beurteilen. «Klar ist, dass sobald etwas mit ‹islamisch› bezeichnet wird, es automatisch als suspekt gilt.»

Sich langsam an hiesige Gegebenheiten gewöhnen können
Durch die aktuelle Zuwanderung werden mehr Familien mit islamischem Hintergrund in die Schweiz kommen. Laut den Behörden wird auf Integration gesetzt. Eine gesteigerte Nachfrage für muslimische Kindergärten oder Schulen gibt es laut den Volksschulämtern nicht. «Für viele Neuankömmlinge wäre ein muslimischer Kindergarten sicher eine gute Möglichkeit, sich langsam an die hiesigen Gegebenheiten zu gewöhnen und sich zu integrieren. Der Bruch mit der eigenen Kultur wäre nicht frontal. Die Eltern würden sich weniger bevormundet, hilflos und nicht ernstgenommen fühlen», betont Osman.

Die Diskussion um muslimische Bildungsinstitutionen dreht sich meist um Religion und Sprache. Ist das Studium des Korans und der arabischen Sprache mit den Anforderungen, die der kantonale Lehrplan stellt, vereinbar? Einen alternativen Lösungsansatz bietet der freiwillige Unterricht in heimatlicher Sprache und Kultur, kurz HSK. Der HSK­ Unterricht wird von den jeweiligen Botschaften oder Vereinen angeboten und unterrichtet Kinder in ihrer Muttersprache – sei es Türkisch, Italienisch, Spanisch oder Tamilisch. Primarschülerinnen und -schüler werden dazu während zweier Wochenlektionen vom Klassenunterricht dispeniert. Die Note im HSK­Unterricht wird ins Schulzeugnis eingetragen. HSK­ Unterricht in Arabisch gibt es bis anhin in der Stadt Zürich. Im Kanton St. Gallen ist in Buchs die erste arabische Schule der Ostschweiz, die HSK­Stunden anbieten will, in Planung. Sie soll politisch, konfessionell und wirtschaftlich neutral sein. Der Unterricht findet in Hocharabisch statt. Die Kosten wollen die Eltern unter sich aufteilen. Die Bewilligung des Kantons steht noch aus.

*seit kurzem pensioniert

publiziert September 2016, “Bildung Schweiz” (09/2016)

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