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Über mich

Christa Wüthrich ist freie Journalistin. Als Autorin, Lehrerin und IKRK Delegierte hat sie im In- und Ausland gearbeitet.

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Der exotische Superstar

Der exotische Superstar

Eleganz, Exotik, Macht und Diplomatie: Kaum jemand hat Florenz so aus dem Häuschen gebracht wie eine Giraffe.

Lorenzo «il Magnifico» besass fast alles: Geld, Ansehen und Macht. Der Spross der Bankiers- und Handelsfamilie Medici kontrollierte, wie zuvor sein Vater, die Geschehnisse im Stadtstaat Florenz. Doch auf dem Papier besass er keine rechtliche Gewalt und war «nur» ein handelstreibender Magnat. «Lorenzo dem Prächtigen» (1449 – 1492) fehlte der majestätische Touch.

Zwar glänzten die Medicis bei hohem Besuch von Königen und Kaisern mit Schaukämpfen, bei denen Raubtiere als Machtsymbol Pferde und Ziegen zerfleischten. Doch an Löwen & Co. waren sich die Menschen gewohnt. Was Leonardo für seine «königliche Aura» brauchte, war ein exotischer Superstar, eine animalische Diva, die auf allen Ebenen beeindruckte. Jemand der «so ungewöhnlich aussieht, dass er unsere Sinne überwältigt, dass unser Hirn nicht mehr weiss, was mit dieser Erscheinung anzufangen», brachte es der amerikanische Buchautor Edmund Blair Bolles in einem seiner Werke  auf den Punkt. Und was eignete sich besser dazu als ein Kamelopard?

Jemand der so ungewöhnlich aussieht, dass er unsere Sinne überwältigt, dass unser Hirn nicht mehr weiss, was mit dieser Erscheinung anzufangen.

Lorenzo nahm sich Cäsar als Vorbild. 48 vor Christus brachte der römische Herrscher den ersten Kameloparden aus Ägypten nach Rom. Eine Sensation, die alle anderen hohen Tiere und Machthaber in den Schatten stellte und Cäsars Machtposition unterstrich. Denn wer ausser ihm konnte ein solches Tier präsentieren?  Die Menschen waren beeindruckt und erkannten im Wesen mit dem langen Hals, den grossen Augen, dem sanften Gang und dem gemusterten Fell eine Mischung zwischen Kamel und Leoparden. Giraffe nannte die Kreatur damals noch niemand. Cäsar zeigte sich vom Exotenstatus des Kameloparden wenig beeindruckt und warf das Tier den Löwen zum Frass vor.
Lorenzo hatte  andere Absichten. Nach langem Suchen fand er einen ägyptischen Sultan, der ihm eine Giraffe nach Florenz lieferte. Lorenzo unterstützte ihn dafür in seinen politischen Ambitionen und versicherte, die Giraffe später als Geschenk an Anne, Königin von Frankreich, weiter zuleiten.

Von weitem sah es aus, als bestaunten die Menschen einen Turm und kein Tier

Im November 1487 kam die Giraffe in Florenz an und begeisterte die Masse. Sie wurde durch die Strassen geführt und die Bevölkerung fütterte das Tier. Maler wie Andrea del Sarto und Domenico Ghirlandaio verewigten die Giraffe auf Gemälden, sogar auf religiösen Fresken. Und auch Dichter Antonio Costanzo zeigte sich beeindruckt von der ungewohnten Kreatur.  «Von Weitem sah es so aus, als bestaunten die Menschen einen Turm und kein Tier. Die Giraffe schien die Menge zu lieben, sie war immer friedlich und furchtlos. Es schien, als beobachtete sie mit Vergnügen die Leute, die gekommen waren, um sie anzuschauen».

Kirche Santa Maria Novella; «Anbetung der König»  von Domenico Ghirlandaio (1449–1494). (Photo: Wüthrich)

«Homage to Lorenzo II Magnifico» von Giorgio Vasari  (Abbildung im Buch «The Medici Giraffe»)  

Von Florenz bis Konstantinopel sprach man über Lorenzo und seinen Kameloparden. Die Medici Giraffe war der Inbegriff von exklusiver Exotik und brachte Lorenzo die gesuchte Bestätigung als  glamouröse Majestätsfigur. Er baute eigens für das Tier geheizte Stallungen, damit es sich im Winter nicht verkühlte. Profitieren konnte der Kamelopard davon nie. Er brach sich im Januar 1488 das Genick. Dem Hype um die Giraffe und Lorenzo tat dies keinen Abbruch. Auskosten konnte «der Prächtige» seinen Triumph nur noch beschränkt. Er litt an Gicht und starb mit nur 43 Jahren im  April 1492.  Anne, der Königin von Frankreich, die auf die Lieferung der Giraffe bestand, schickte Lorenzo vor seinem Ableben einige Flaschen Parfum.

Wer sich heute in Florenz auf die Suche nach der Giraffe macht, stösst bei der Bevölkerung auf Unwissen. Ob Immobilienmakler Leonardo, in Florenz geboren und aufgewachsen, oder die einheimische Jurastudentin Adriana: Die Medici-Giraffe provoziert höchstens ein ungläubiges Kopfschütteln. In der Kirche Santa Maria Novella erscheint der Kamelopard  im Hintergrund einer Freske des Malers Domenico Ghirlandaio («Anbetung der König», 1449–1494). Doch nur selten widmet jemand dem Gemälde einen zweiten Blick. Die Zeiten von Kamelopard und Lorenzo scheinen endgültig vorbei zu sein. Exotische Superstars tanzen heute auf anderen Hochzeiten.

Edmund Blair Bolles; «A Second way of knowing : The Riddle of Human Perception» (1991)
Marina Belozerskaya; «The Medici Giraffe and Other Tales of Exotic Animals and Power»  (2006)

 

 

 

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