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Über mich

Christa Wüthrich ist freie Journalistin. Als Autorin, Lehrerin und IKRK Delegierte hat sie im In- und Ausland gearbeitet.

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Kluge kleine Katzen kratzen keine Krokodile

Kluge kleine Katzen kratzen keine Krokodile

Milchkaffee schlürfen und Miezekatzen streicheln: Auf diesem Geschäftsmodel bauen Katzenkaffees auf. Scheinbar mit Erfolg. Aber ohne mich.

Ich mag weder die Holzabdeckung auf meinem Michkaffee noch das in einen Plastikbehälter gezwängte Tortenstück. Ich habe die Qual der Wahl. Keine Abdeckungen, dafür Katzenhaare auf dem Schlagrahm oder Abdeckungen und die Katzenhaare nur an meiner Bluse. Ich entscheide mich für die Wahl – und esse die Torte aus dem Plastikgeschirr.

Die Katze ist König. Der Gast höchstens ein verhaltensgestörter Hofnarr.

Ich sitze im «Neko no Niwa», was aus dem Japanischen übersetzt Katzengarten bedeutet, und das erste Katzenkaffee in Singapur ist. Das heisst, ich sitze in einer Art Glasbox gefüllt mit Tischen, Bänken, Kletterbäumen und Schlafkörbchen. Vor der Glasbox werkelt die Katzenkaffee-Crew, schäumt Cappuccinos und richtet Tortenstücke her. Hinter dem Glas tummeln sich Katzen, einige Kaffeebesucherinnen und ich. Eine junge beflissene Asiatin erklärt mir geduldig die Katzenregeln und Preise. Die erste Stunde kostet 12 Singapur Dollar (8.50 Franken), die Folgestunden jeweils 5 SGD (3.50 Franken). Ein Tagespass gibt es für 32 SGD (22.60 Franken). Kaffee & Kuchen werden extra verrechnet. Ich darf die Katzen streicheln. Am Schwanz reissen, wecken, erschrecken, füttern, aufheben oder herumtragen ist strikte verboten. Die Katze ist König. Der Gast höchstens ein verhaltensgestörter Hofnarr.

Wären die anwesenden Vierbeiner jedoch Menschen würde man von reintegrierten «ehemaligen Randständigen» sprechen. Die insgesamt 13 Miezekatzen stammen alle aus dem Tierheim, waren verwahrlost und verlassen, bevor sie von den Kaffeegründern Sue und Sam adoptiert wurden. «Wir wollen damit eine klare Botschaft vermitteln», erklärt das Paar auf seiner Webseite: «Kauft keine Tiere, sondern holt sie aus dem Heim!» Zur Kaffeekatze eigne sich nicht jedes Tier, halten die beiden fest. «Wir wählten nur Persönlichkeiten aus, die den Kaffeehaus-Lebensstil mögen: viel menschliche Aufmerksamkeit, viel Spielen und eine ganze Menge andere Katzen.»

Ein Katzenkaffee bietet die ideale Möglichkeit das Fehlen eines Haustieres zu kompensieren, ohne Verantwortung und Kosten für das Tier zu tragen.

Heute sind Mr. White, Demi, Robby oder Little Miss Muffet die Stars im ersten Katzenkaffee in Singapur und werden täglich von Dutzenden von Besuchern bewundert und bestaunt. Der Erfolge des Katzenkaffees ist keine Überraschung. In Singapur so wie in Japan, wo die ersten Katzenkaffees gegründet wurden, ist Wohnraum knapp, für Haustiere fehlen Raum und Zeit. Ein Katzenkaffee bietet die ideale Möglichkeit das Fehlen eines Haustieres zu kompensieren, ohne Verantwortung und Kosten für das Tier zu tragen und trotzdem von den Vorteilen eines Haustieres zu profitieren. Denn laut aktuellen Studien vermindert ein Haustier Stress, senkt den Blutdruck und schafft Entspannung.  Für die Besitzer scheint ein Katzenkaffee eine gute Investition zu sein, für die Besucher eine willkommene animalisch Kaffeepause mit Kuraufenthalt-Effekt. Denn ob New York, Paris, Wien oder München: Heute gibt es Katzenkaffees rund um den Globus. In der Schweiz ist seit vergangenem Jahr eines in der Nähe von Genf in Planung.

Doch wer gönnt sich einen Besuch im Katzenkaffee? Laut der Katzenkellnerin sind es asiatische Stammkunden, Familien mit Kindern, neugierige Erstbesucher und Katzenfanatiker. Das Kaffee eröffnete an Weihnachten 2013; die Nachfrage ist immer noch gross. Den Markt aufgemischt haben nun auch einige Hundekaffees. Eins scheinen alle anwesenden «Neko no Niwa»-Gäste an diesem Nachmittag gemeinsam zu haben. Sie fühlen sich im Katzenkaffe pudelwohl. Auf allen vieren kriechen sie den Katzen nach, miauen vor Freude und halten das ganze in Film und Bild fest. Einige tragen Katzenöhrchen, andere Hello-Kitty-Shirts. Vor allem bei jungen Frauen scheint das Katzenfieber zu grassieren und in einigen Fällen das Sprachzentrum anzugreifen. Auf die Frage, was sie zum Katzenkaffee denken, bekomme ich wenig Aufmerksamkeit und im Idealfall ein aufgeregtes Lachen. Warum sich mit Menschen unterhalten, wenn eine Miezekatze auf dem Kletterbaum vor sich hin gähnt?

Die Tiere wirken – leicht abwesend und gelangweilt – als lernen sie im Geiste einen deutschen Zungenbrecher auswendig: Kluge kleine Katzen kratzen keine Krokodile.

Die Katzen scheint das ganze Theater kalt zu lassen. Sie räkeln sich in ihren Schlafkörbchen oder sitzen still auf der Fensterbank und schauen auf den Singapur River. Physisch gefordert sind die Vierbeiner kaum. Das Erklimmen der Katzenkletterbäume würde sogar eine zweibeinige Katze schaffen. Die Tiere wirken – leicht abwesend und gelangweilt – als lernen sie im Geiste einen deutschen Zungenbrecher auswendig: Kluge kleine Katzen kratzen keine Krokodile.

Ich fühle mich ein wenig wie der Elefant im Porzellanladen. Die falsche Spezies am falschen Platz. In aller Katzenliebe: Ich trinke meinen Kaffee lieber alleine – ohne hölzernen Katzenhaarschutz und dauerkichernde Katzenfans. Und auf die medizinische Wirkung vom Tierstreicheln kann ich auch verzichten. Ein Glas Sekt hat auf mich wohl eine entspannendere Wirkung. Nach 42 Minuten verlasse ich die Glasbox wieder – zum grossen Erstaunen der Katzencrew ganze 18 Minuten zu früh. Ich soll doch unbedingt am Sonntag wieder vorbei kommen – zum Katzenyoga.

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