Widget Image
Über mich

Christa Wüthrich ist freie Journalistin. Als Autorin, Lehrerin und IKRK Delegierte hat sie im In- und Ausland gearbeitet.

Beliebte Beiträge

Und wie entsorgen Sie Ihr Fahrrad?

Und wie entsorgen Sie Ihr Fahrrad?

Durch die Aktion „Velos für Afrika“ gelangen jährlich tausende ausgediente Schweizer Fahrräder auf den schwarzen Kontinenten. Die Menschen in Afrika erhalten dadurch mehr Mobilität und neue Erwerbsmöglichkeiten. Doch auch Schweizer Gemeinden profitieren vom preisgekrönten Projekt.

Sie stehen verrostet im Keller, werden bei der Alteisensammlung deponiert oder am Bahnhof als „herrenlose“ Räder stehengelassen. Es gibt die verschiedensten Varianten alte und oft kaputte Fahrräder zu entsorgen. Die wohl nachhaltigste und wirkungsvollste Entsorgungs-Strategie für ausgediente Drahtesel bietet die Recycling-Werkstätten Gump- & Drahtesel in Bern-Liebefeld. Seit 1993 schickt „Gump- & Drahtesel“ im Rahmen des Projektes „Velos für Afrika“ ausrangierte Fahrräder aus der Schweiz nach Eritrea, Tansania, Ghana und Burkina Faso.

Nachhaltigkeit und soziale Integration
Profitieren vom Fahrradgeschäft mit Afrika tut auch die Schweiz. Denn „Velos für Afrika“ arbeitet landesweit mit sozialen Velo-Werkstätten, Partnerbetrieben, Vereinen, Privatpersonen und Gemeinden zusammen: zum Beispiel mit Münsingen. „Den Gemeinden steht es frei zu entscheiden, was mit herrenlosen Fahrrädern geschieht. Wir müssten die Räder, welche nicht mehr fahrtüchtig sind, als Altmetall entsorgen. Durch „Velos für Afrika“ werden sie sinnvoll wiederverwertet“, betont Phillipe Dentan, Fachbereichsleiter Verkehr in Münsingen. Die Bevölkerung befürworte die nachhaltige Weiterverwertung der Räder und für die Gemeinde sei die Zusammenarbeit mit „Gump- und Drahtesel“ unkompliziert, praktisch und nachhaltig.

Aesch im Kanton Baselland, die Appenzeller Gemeinde Gais oder die Stadt Solothurn wurden durch „Bring- und Holtage“ oder Velobörsen auf „Velos für Afrika“ aufmerksam. „Vor acht Jahren führte die Gemeinde Aesch einen Velo-Monat durch. Am abschließenden Bring- und Holtag wurden wir mit Velos überrannt. Seither arbeiten wir mit „Velos für Afrika“ zusammen“, erklärt Oliver Standke von der Bauabteilung Aesch. „Die Bevölkerung nahm das neue Angebot gerne an und wünschte sich eine dauernde Abgabemöglichkeit. Daher können nun ausgedienten Fahrräder das ganze Jahr hindurch in unserem Werkhof abgeben werden“.

Die Recycling-Werkstätten bieten Menschen ohne Erwerbsarbeit eine Wiedereinstiegsmöglichkeit in den Arbeitsmarkt. Sie reparieren die Fahrräder und machen sie fahrtüchtig. „Velos für Afrika“ schafft damit auch in der Schweiz neue Perspektiven.

Nachhaltige Abfallentsorgung ist für die Gemeinden jedoch nicht der einzige Grund um „Velos für Afrika“ zu unterstützen. „Die Recycling-Werkstätten, mit welchen wir zusammenarbeiten bieten Menschen ohne Erwerbsarbeit eine Wiedereinstiegsmöglichkeit in den Arbeitsmarkt. Sie reparieren die Fahrräder und machen sie fahrtüchtig. „Velos für Afrika“ schafft damit auch bei uns neue Perspektiven“, betont Matthias Maurer, der als Projektleiter bei Gump- & Drahtesel für „Velos für Afrika“ verantwortlich ist. Eine reziproke Entwicklungsarbeit, bei der beide Seiten gewinnen: die Menschen in Afrika und in der Schweiz. Das Projekt wurde dafür 2009 mit dem „Swiss Social Entrepreneur“ ausgezeichnet. Überzeugt vom sozialen Aspekt der Aktion ist auch die Stadt Solothurn, die sich an einem alljährlichen Velosammeltag für das Projekt stark macht. „Das Sammeln von alten oder ausgedienten Velos ist eine hervorragende und sozial sehr gute Möglichkeit Velos ein zweites Leben zu geben und sozialen Werkstätten Arbeit zu ermöglichen,“ betont Andreas Schneider, Chef Entsorgung der Stadt Solothurn.

dsc05026

Gebraucht aber immer noch brauchbar: Altes Fahrrad in Burkina Faso. (Bild Wüthrich)

Die wiederverwerteten Schweizer Velos als Chance
Eine der sozialen Werkstätten, welche mit „Velos für Afrika“ zusammenarbeitet, ist die Velo-Werkstatt des Vereins Lernwerk Turgi. „Alte, ausgediente oder nicht abgeholte Fahrräder sammeln wir bei Werkhöfen, Polizeidepots, Versicherungen und der SBB ein“, erklärt Cristina Service, Projektmanagerin Kommunikation des Vereins Lernwerk. Im Rahmen der Arbeits- und Berufsintegration für Jugendliche und Erwachsene reparieren, sortieren und demontieren Erwerbslose die Räder. Aussortierte Fahrräder zerlegen sie in funktionstüchtige Einzelteile. „Dank beruflicher Praxis und der Möglichkeit sich mittels Qualifikationen wie Pünktlichkeit, Fleiss und Verlässlichkeit unter Beweis zu stellen, steigt die Chancen der Erwerbslosen sich im Arbeitsmarkt wieder zu integrieren“, präzisiert Cristina Service. Davon profitiert die Gesellschaft und die Gemeinde.

„Die Bauernkooperativen erhalten von uns eine Fair Trade Prämie, die sie in Projekte ihrer Wahl investieren können. Sich für dieses Geld Fahrräder zu kaufen, ist sehr beliebt“.

Von der Schweiz aus werden die Fahrräder per Container über Antwerpen in die einzelnen Ländern verschifft. Angekommen im Zielland gelten die Schweizer Fahrräder jedoch nicht als Gratisgeschenk. „Wir arbeiten vor Ort mit ausgewählten Betrieben und Organisationen zusammen, welche die Fahrräder weiter vertreiben“, bestätigt Matthias Maurer von Gump-& Drahtesel. Zu den wichtigsten Partnern in Burkina Faso zählt David Heubi, Geschäftsführer von gebana Afrique. Das Schweizer Unternehmen gebana ist in Burkina Faso der führender Exporteur von Bio- und Fair Trade Trockenfrüchten. Rund 20 Tonnen getrocknete Mangos werden jährlich in die Schweiz exportiert. „Die Bauernkooperativen, mit denen wir zusammenarbeiten, erhalten von uns eine Fair Trade Prämie, die sie in Projekte ihrer Wahl investieren können. Sich für dieses Geld Fahrräder zu kaufen, ist sehr beliebt“, erklärt David Heubi.

„Velos für Afrika“: Ein Müllverlagerungsprojekt?
Die Schweizer Räder sind robuster als die Velos aus China, die auf dem lokalen Markt erhältlich sind und oft auch preisgünstiger. Ein zusätzlicher Vorteil ist die Bezahlung. Bezieht jemand sein Fahrrad über die Kooperative, kann er den Preis in Raten abzahlen. Damit wird für die arme Bevölkerung ein Velo erschwinglich. Zum Beispiel für die 36 jährigen Kindo Ramata. Die vierfache Mutter verdient ihr Geld als Putzfrau. „Anschaffungen, wie zum Beispiel ein Fahrrad sind unmöglich“, erzählt sie. Ein einfaches Velo kostet rund 60 Franken. In einem Land, in dem knapp die Hälfte der Menschen mit weniger als einem Franken pro Tag ums Überleben kämpft, ist das ein Vermögen. Doch dank den Ratenzahlungen ist Kindo seit vier Jahren stolze Besitzerin eines Velos aus der Schweiz. „Alles ist nun schneller und einfacher erreichbar. Es ist als ob die Welt ein wenig zusammengerückt sei!“, erklärt sie begeistert.

schweizer-velos-junge-afrikanerin

„Alles ist nun schneller erreichbar. Es ist als ob die Welt zusammengerückt sei!“ Junge Afrikanerin mit Schweizer Fahrrad (Bild Wüthrich)

Die Räder fördern nicht nur die Mobilität der Menschen, sondern auch ihre Produktivität. Märkte, Schulen, Spitäler und Universitäten, die Tagesmärsche entfernt liegen, werden per Velo schnell und problemlos erreichbar. Doch besteht nicht die Gefahr, dass die alten Schweizer Räder in Kürze auch in Afrika als Schrott gelten und auf einer Müllhalde enden? Dient „Velos für Afrika“ schlussendlich als Müllverlagerungsprojekt?

Es werden nur  Fahrräder vermittelt, die strengen Qualitätskriterien entsprechen und 100 Prozent einsatzfähig sind. Gespendete Fahrräder, die den Qualitätsrichtlinien nicht genügen, werden als Ersatzteile verwendet.

„Nach Afrika werden nur Fahrräder vermittelt, die strengen Qualitätskriterien entsprechen und 100 Prozent einsatzfähig sind. Wir schicken keinen Abfall!“ betont Matthias Maurer. Gespendete Fahrräder, die den Qualitätsrichtlinien nicht genügen, werden als Ersatzteile verwendet. Denn mit jedem gefüllten Fahrrad-Container werden auch Ersatzteile mitgeliefert. Wer in der Schweiz sein Fahrrad nach Afrika spenden möchte, kann das bequem von einem Bahnhof aus tun. Wertvolle gespendete Velos werden in den Recycling-Werkstätten aufbereitet und in Bern-Liebefeld unter dem Label «Drahtesel» verkauft. „Velos für Afrika“ profitiert aber auch in diesem Fall. Der Ertrag kommt vollumfänglich dem Projekt zu Gute.

dsc05153

Auf dem Weg zum Markt: Junge Frau mit Fahrrad. (Bild Wüthrich)

 www.gump-drahtesel.ch
StabstelleVelos für Afrika, Integrationswerkstatt Gump- & Drahtesel, Waldeggstr. 27, CH-3097 Liebefeld; Telefon Zentrale +41 (0)31 979 70 70

 

Leave a comment

Your email address will not be published. Required fields are marked *

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.