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Über mich

Christa Wüthrich ist freie Journalistin. Als Autorin, Lehrerin und IKRK Delegierte hat sie im In- und Ausland gearbeitet.

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Handgemacht und preisgekrönt

Handgemacht und preisgekrönt

Für ein zweistöckiges Schulhaus in Bangladesch aus Lehm und Bambus gewann die deutsche Architektin Anna Heringer den Aga-Khan-Preis, die weltweit höchstdotierte Architekturauszeichnung. Benötigt hat sie dafür nur menschliche Muskelkraft – abgesehen von vier Bohrmaschinen und Wasserbüffeln.

Rudrapur ist ein 3000-Seelen-Dorf im Norden Bangladeschs. Elektrizität gibt es nur selten. Die Arbeiter auf den Reisfeldern verdienen täglich etwas mehr als einen Franken. Wenige können es sich leisten, mit Beton und Ziegeln zu bauen. Die Mehrheit der Menschen haust in Hütten aus Lehm und Stroh. Ein stabiles Fundament und eine Feuchtigkeitssperre fehlen. Die Hütten sind feucht, dunkel und unbeständig. «Der Vorschlag, das neue Schulhaus aus Lehm, Stroh und Bambus zu bauen, stiess kaum auf Begeisterung», erinnert sich Anna Heringer. Lehm gilt als Baumaterial der Armen. Trotzdem stimmte die Bevölkerung dem Bau zu.

Ausser den Stahldübeln, den Nylonfäden für die Knotenverbindungen und der Dachhaut aus Wellblech ist der ganze Bau kompostierbar. Bauschutt gibt es keinen und da die Schulanlage nur mit Solarenergie betrieben wird, ist der Bau an Nachhaltigkeit kaum zu steigern.

Die deutsche Architektin, die im österreichischen Linz studiert hat, ist in Rudrapur keine Unbekannte. Ende der 90er-Jahre leistete sie hier während neun Monaten einen Sozialeinsatz und kam regelmässig zurück, um das Land zu bereisen und Projekte zu begleiten. Der Schulhausbau in Bangladesch war Thema ihrer Diplomarbeit, in der sie ihre Motivation klar darstellt: Architektur als Mittel, um kulturelles und individuelles Vertrauen stärken, Wohnverhältnisse zu verbessern und eine nachhaltige Entwicklung zu unterstützen.

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Das preisgekrönte Schulhaus (Bild Wüthrich)

Kompostierbar
Realisiert hat Anna Heringer den Bau zusammen mit dem Berliner Architekten Eike Roswag. Als Material wurden nur Bambus, Lehm und Stroh verwendet. «Ausser den Stahldübeln, den Nylonfäden für die Knotenverbindungen und der Dachhaut aus Wellblech ist der ganze Bau kompostierbar. Bauschutt gibt es keinen und da die Schulanlage nur mit Solarenergie betrieben wird, ist der Bau an Nachhaltigkeit kaum zu steigern», betont die heute 39-jährige Architektin. Baumaschinen suchte man vergebens. Wasserbüffel stampften das Stroh/Lehm-Gemisch zusammen. Die Schulkinder trockneten und siebten den Sand. Den Rest der Arbeit erfüllte ein lokaler Baumeister mit einer rund 30-köpfigen Bauequipe, ausgerüstet mit vier Bohrmaschinen.

Während der Bauphase stürzten im Dorf wegen dem starken Regen einige Wohnhäuser aus Lehm ein. Die Dorfbewohner strömten auf die Baustelle, stellten sich auf die Mauern, um zu testen, ob die immer noch standhalten. Danach waren auch die letzten Zweifel ausgeräumt.

Doch lässt sich dieses Team, in einem Land, wo fast 90 Prozent der Bevölkerung Muslime sind, überhaupt von einer jungen Frau führen? «Dass ich eine Frau bin, stellte beim Bauprozess kein Problem dar. Ich spreche die Landessprache und kenne die Kultur. Was zählt, sind die Leis tung, Qualität und dass man die Menschen und ihre Fähigkeiten versteht und schätzt. Während der Bauphase stürzten im Dorf wegen dem starken Regen einige Wohnhäuser aus Lehm ein. Die Dorfbewohner strömten auf die Baustelle, stellten sich auf die Mauern, um zu testen, ob die immer noch standhalten. Danach waren auch die letzten Zweifel ausgeräumt.»

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Anna Heringer bei der Arbeit (Bild Team Rudrapur)

Durchflutet
Nach vier Monaten stand der Rohbau. Zwei Monaten später war auch der Innenausbau der sechs Klassenzimmer fertig. Die Kosten des Baus beliefen sich auf rund 20000 Schweizer Franken. Mobiliar gibt es keines. Die Kinder sitzen währen der Schulstunde auf Bambusmatten auf dem Lehmboden. An der Stelle von Türen hängen farbige Tücher. Höhlenähnliche Aus- buchtungen bieten Nischen, um sich hinzusetzten und zurückzuziehen. Die Decken sind mit Tüchern verkleidet. Licht fällt durch Bambusgeflechte, mit denen die Fensteröffnungen abgedeckt sind. Die Räume wirken wie Oasen; in sich ruhend; ein Stück heile Welt. Feuchtigkeit stellt auch während des monatelangen Monsuns kein Problem dar. Der Lehm kann Feuchtigkeit aufnehmen und absorbieren. Die Lebensdauer eines Lehmgebäudes entspricht der eines Betonbaus.
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Lichtdurchflutete Räume, Nischen zum Arbeiten (Bilder Wüthrich)

plan

Ausgezeichnet
Die Menschen in Rudrapur sind stolz auf ihren Bau. Durch den Aga-Kahn-Preis kommen nun häufiger Journalisten und Fotografen ins kleine Dorf. Oft bewundern sie jedoch das falsche Gebäude. Nach der Verleihung des Preises im Herbst 2007 kam Anna Heringer zurück nach Rudrapur, um weitere Bambus/Lehm-Gebäude zu bauen; drei Wohnhäuser im Dorf und eine Schule für Elektriker, welche viele Besucher nun für den preisgekrönten Bau halten. Thermisch ist dieses Gebäude noch optimiert. Eine Dämmschicht aus Kokosfasern unter dem Dach garantiert eine bessere Isolation. «Den Aga-Khan-Preis zu erhalten, bedeutet auch Verantwortung wahrzunehmen. Ich möchte den Menschen zeigen, dass Bauen mit Lehm und Bambus erschwinglich, machbar und nachhaltig ist.»

http://anna-heringer.com
http://www.meti-school.de

innen

Aga-Khan-Preis
Mit 500 000 Dollar Preisgeld ist der Aga-Kahn- Preis die höchstdotierte Architekturauszeichnung der Welt. Im Zentrum stehen dabei nicht nur bauliche und architektonische Meisterleistungen. Die Bauten müssen zusätzlich soziale und kulturelle Vorgaben erfüllen, wie Nachhaltigkeit, Beeinflussung der Lebensverhältnisse, Einbezug von Tradition und Kultur. Zusätzlich muss das Bauwerk in einem muslimisch geprägten Land gebaut werden. Der Preis wird seit den Siebzigerjahren alle drei Jahre vergeben. Das Preisgeld wird unter einer Gruppe von ausgezeichneten Architekten ver- teilt.

http://www.akdn.org

Der Artikel erschien 2010 in der Zeitschrift “architektur & technik” so wie in der Wochenzeitung “die Furche”. Der Text war 2010 für den COR-Preis Wohnen und Design nominiert. Der Artikel wurde im November 2016 ergänzt und aktualisiert.

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