Widget Image
Über mich

Christa Wüthrich ist freie Journalistin. Als Autorin, Lehrerin und IKRK Delegierte hat sie im In- und Ausland gearbeitet.

Beliebte Beiträge

Das Schicksal der Seelenfresserinnen

Das Schicksal der Seelenfresserinnen

In Burkina Faso werden Frauen der Hexerei beschuldigt und vertrieben. Vor allem ältere Frauen dienen den Menschen als Sündenböcke bei unerklärlichen Todesfällen. Für die Betroffenen sind Suizid oder ein Leben im «Hexenhaus» meist die letzten Optionen.*

Vor den Lehmhütten hat sich die Dorfgemeinschaft zu einer Krisensitzung versammelt. In wenigen Tagen sind mehrere Kinder gestorben. Malaria, Meningitis, Aids, Unterernährung oder Durchfall könnten die Ursache sein. In Burkina Faso stirbt fast jedes fünfte Kind vor seinem fünften Geburtstag. Ärzte schaffen es kaum in die abgelegenen Dörfer. Es gibt weder Strassen noch Elektrizität. Medizinisch aufgeklärt werden die Todesfälle nie. Auf mehr als 20 000 Bewohner kommt nur ein Arzt.

Schuld sind die «Seelenfresserinnen»
Doch die Dorfbewohner machen für die unerklärlichen Todesfälle «Hexerei» verantwortlich. Mit Hilfe eines Wahrsagers wird die vermeintliche Hexe ausfindig gemacht. In Mooré, einer der rund 60 Landessprachen des westafrikanischen Staates, nennt man sie «chouinba» – Seelenfresserin. Sie wird beschuldigt, die Seele der Menschen zu vernichten und sie somit zu töten. Die Frau wird verprügelt und kurzerhand aus dem Dorf gejagt. Für die Betroffenen ist das Urteil fatal. Ohne Familie ist eine Frau weniger Wert als ein Huhn. Suizid erscheint oft als einziger Ausweg. Wer sich für das Leben als Hexe entscheidet, endet in einem «Hexenhaus». In der Hauptstadt Ouagadougou gibt es zwei solcher Refugien, überfüllt mit an die 600 Frauen.

Man wähnt sich in einem heruntergekommenen Altenheim ohne Krankenpflege und Mobiliar, wo es weder fliessend Wasser noch Elektrizität gibt.

Eines der Auffangzentren ist der «Cour de Solidarité de Paspanga». Hier sitzen oder liegen über 100 Frauen auf dem staubigen Boden im Innenhof, umgeben von barackenähnlichen Verschlägen. Man wähnt sich in einem heruntergekommenen Altenheim ohne Krankenpflege und Mobiliar, wo es weder fliessend Wasser noch Elektrizität gibt. Viele Frauen sind nur dürftig mit einem Tuch bedeckt. Ihr Haar ist kurz geschoren. Die Körper sind ausgemergelt und staubig. Mit warmem Wasser wäscht sich kaum jemand. Das Feuerholz ist zu teuer. Zum Arbeiten sind die meisten Frauen zu alt und schwach. Einige spinnen Baumwolle und verkaufen sie. Andere suchen auf dem naheliegenden Markt nach essbarem Abfall. Katholische Ordensschwestern versorgen die Frauen mit dem Nötigsten. Pro Tag gibt es eine Mahlzeit. Bohnen und getrockneten Fisch. Man teilt das wenige, was man hat: das karge Essen und die tragische Geschichte.

dsc05117

Warten auf bessere Zeiten. Frauen im «Cour de Solidarité de Paspanga» in Ouagadougou. (Bild Wüthrich)

Der Prototyp einer Hexe
«Die Frauen entsprechen alle dem typischen Hexenprototyp», erklärt die katholische Ordensschwester Rosalie, welche sich um die Frauen kümmert. «Junge Mädchen werden nicht verstossen, denn sie sind arbeits- und gebärfähig. Alte Frauen hingegen werden oft als Last gesehen. Wenn sie kinderlos, unverheiratet, verwitwet sind oder in irgendeiner Weise nicht dem gewohnten Bild entsprechen, bietet die Hexenvertreibung das ideale Mittel, sich ihrer zu entledigen. Bei einem <unerklärlichen> Todesfall stempelt man diese Frauen zum Sündenbock. Männer sind davon nur selten betroffen.» Schwester Rosalie spricht nur zaghaft. Das Sozialministerium hat den Glaubensschwestern, welche das Zentrum führen, jegliche Unterhaltung mit Fremden verboten. Erst nach einer Odyssee durch Burkina Fasos Bürokratie und einer offiziellen Erlaubnis eines hohen Beamten ist ein Gespräch möglich.

Amalie beschützte ihre Mutter vor dem Mob und wurde kurzerhand auch als Hexe entlarvt. Die zwei Frauen teilen sich nun einen der kleinen Verschläge.

Die Verstossenen wirken wie vertriebene Tiere; ängstlich, verwirrt und hilflos. Sie erzählen lediglich Bruchstücke ihrer Geschichte. Die jüngste Frau, knappe 40 Jahre alt, besuchte Verwandte. Am Tag ihrer Ankunft im Dorf starben zwei Menschen. Seither gilt sie als Hexe. Eine andere Frau wurde beschuldigt, den Kranken im Dorf vor deren Tod im Traum erschienen zu sein. Ein klares Indiz, welches sie zur Seelenfresserin machte. Gefährlich ist es auch, sich für eine vermeintliche Hexe einzusetzen. Amalie beschützte ihre Mutter vor dem Mob und wurde kurzerhand auch als Hexe entlarvt. Die zwei Frauen teilen sich einen der kleinen Verschläge. Beide werden wohl hier sterben. Reintegration ist kaum möglich. Zu gross sind Scham und Angst der Betroffenen. Zu uneinsichtig sind die Dorfbewohner.

«Das Böse war vor der Religion da»
Einer davon ist Ali Nooma. «Die Seelenfresserinnen haben schon immer eine Gefahr dargestellt. Nur haben die Leute heutzutage Angst, sich öffentlich dazu zu bekennen, weil man als dumm gelten könnte», erklärt der 42jährige Burkinabé. Der Familienvater möchte seinen richtigen Namen nicht veröffentlichen. Er arbeitet für ein internationales Unternehmen in Ouagadougou. Seine Haltung habe nichts mit Ignoranz oder Unwissen zu tun. Ali besitzt einen Universitätsabschluss, hat Europa bereist und ist gläubiger Moslem. «Religion und Hexenglauben sind zweifellos kompatibel», erklärt er. «Das Böse war vor der Religion da.» Er unterstreicht seine Argumentation mit überlieferten Geschichten und Zeitungsartikeln. Da ist die Hochzeitsgesellschaft, welche von einer Hexe vergiftet wurde. Oder der Bericht über die vier Jugendlichen, die sich als Hexer versuchten und daran starben. Und nicht zu vergessen der weisse Tourist, der vom Blitz getroffen wurde, weil er das Haus einer Seelenfresserin betrat. Für Ali ist klar: die Verurteilung von Hexen soll ins Justizsystem integriert werden. Damit könne man Klarheit schaffen – für Täterinnen und Opfer. Doch wie diese Klarheit aussehen soll, bleibt fraglich.

getrocknete-fische

Getrockneter Fisch. Eine Mahlzeit für die ausgestossenen Frauen. (Bild Wüthrich)

 

Info-Broschüren für Analphabeten

Die Zukunft für die verstossenen Frauen bleibt düster. «Sensibilisierung existiert kaum. Von aktuellen Zahlen, Statistiken oder Studien ganz zu schweigen. Täter und Opfer werden vom Gesetz ignoriert», betont Fulgence Poyga. Der Burkinabé setzt sich seit zehn Jahren mit seiner Organisation «Woo-Laa» (nützliche Sache) für die stigmatisierten Frauen ein und leistet in den Dörfern Aufklärungsarbeit. An Hexerei glaubt er nicht. Hinter den Anschuldigungen stecke Rache, Wut, Trauer, Unwissen und Missgunst. Rund die Hälfte der knapp 16 Millionen Menschen in Burkina leben unter der Armutsgrenze. Mehr als 70 Prozent haben keine Arbeit.

Die Würdenträger im Land verurteilen die Stigmatisierung der Frauen. Salamata Sawadogo, Ministerin für Menschenrechte, betont, dass die Hexenjagd gegen jegliche Rechte verstosse. Präsidentengattin Chantal Compaoré und Mogho Naaba, der Kaiser der Ethnie der Mossi, vertreten die gleiche Position. In Informationsbroschüren appellieren sie an das Gewissen ihres Volkes. Bloss: Mehr als 70 Prozent der erwachsenen Menschen in Burkina Faso können weder lesen noch schreiben.

*Die Autorin war 2010 vor Ort und berichtete über Ihre Erfahrungen in österreichischen und Schweizer Medien. Der Artikel erschien im November 2010 im St.Galler Tagblatt.

Leave a comment

Your email address will not be published. Required fields are marked *

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.